Montag, 31. Oktober 2011
Sonntag, 30. Oktober 2011
Kapitel 1
Ich
habe einen Traum. In einer Republik zu leben in der Niemand wegen
seiner Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung, Hautfarbe,
Geschlechtes oder Bildungsstandes diskriminiert wird, eine Gesellschaft
in der alle gleich sind und die Würde des Menschen für alle und nicht
nur für Deutsche unantastbar ist.
Es heißt, dass jede Geschichte, die einen Anfang hat, auch ein Ende hat. Beides hier einzugrenzen ist schwer, denn Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind in diesem Falle sehr eng miteinander verbunden. Nur unser schlechtes Gedächtnis sorgt dafür, dass wir Zusammenhänge nicht erkennen. Um der Größe und Tragweite dieser Geschichte gerecht zu werden, beginne ich mit meiner Erzählung vor längerer Zeit.
Meine gesamte Kindheit hatte ich in diesem besseren Stadtteil, der List, verbracht. Ein multikulturelles Flair in dem Griechen, Spanier, Türken und Deutsche in harmonischer Koexistenz lebten, gab diesem Viertel etwas Außergewöhnliches. Die Stadt an der Leine war um die Jahrtausendwende kurzzeitig aus ihrer provinziellen Lethargie hervorgetreten und hatte mit der Organisation der Weltausstellung den Anschein erweckt zu einer blühenden Millionenmetropole werden zu wollen. Als ob eine wachsende Urbanisierung und eine erweiterte Infrastruktur dieses Schmuckstück noch verschönern könnte. Ein Juwel ist ein Juwel und bleibt eines. Ein funkelnder Diamant ist diese Metropole unter den deutschen Großstädten, von hier kann einer als Steigerung nur noch in den Himmel!
Wie alle -oder sollte ich nicht besser genauer sagen viele- Spanier habe ich den Drang nach Eigentum, als ob wir es in den Genen hätten. Und was für Gene es sind..., die Reihe meiner Ahnen lässt sich in direkter Linie bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Aber das Schicksal hat es so gewollt, dass ich außerhalb meiner geliebten spanischen Heimat im kalten tristen Deutschland zur Welt gekommen bin, dieses Land aber nie als das Meine ansehen konnte, ein merkwürdiges Paradoxon, ich weiß. Aber so geht es vielen Menschen mit Migrationshintergrund. „Fremd im eigenen Land“ ist hier die Devise!
Als Gastarbeiterkind habe ich es trotz der Rückschläge in meiner Schul -und Studienzeit immer als Privileg und Bereicherung verstanden, beide Kulturen und Sprachen zu verstehen und zu leben. Der Zugriff zur Deutschen Klassik soll mir zwar nach der inkompetenten Meinung meiner ehemaligen Deutschlehrerin verwehrt bleiben, da diese Sprache nicht meine Muttersprache sei. Aber wer schert sich schon, um Goethe oder Schiller, wenn er Cervantes und Lope de Vega hat? Liebe Leser ich lasse mir hier keinen mangelnden Integrationswillen unterstellen, meine abwertende Haltung gegenüber Deutschen ist die Summe meiner Erfahrungen. Mein ganzes miserables Leben habe ich dieses bedauernswerte Volk beobachtet und ihre offensichtliche Dekadenz begründe ich mit:
Ihrer mangelnden Körperhygiene,
Ihren rülpsende Lauten, die sie von sich geben, wenn sie zu viel Bier konsumiert haben.
Ihrem barbarischen Benehmen, sobald sie sich in Urlaub befinden (genannt das Ballermannsyndrom).
Ja welches Volk trägt sonst noch zu Sandalen Socken? Nein, ohne jeden Zweifel handelt es sich bei den Deutschen um eine ganz eigene Spezies, die intensivere Studien erfordert. Ich weiß, dass bereits die alten Römer die Germanen als Barbaren bezeichnet haben. Schon dort hatten germanische Frauen den Ruf behaarte Beine zu haben, aber zweitausend Jahre und keine Fortschritte! Ein solches Negieren der Evolution ist schon fast beleidigend! Kein Wunder, dass die Deutschen zwei Weltkriege verloren haben.
Meine Kenntnisse der hiesigen Sprache sind mündlich so wie schriftlich überdurchschnittlich gut, besser als viele deutsche artikuliere ich mich akzentfrei in ihr. Ohne hinterwäldlerischen bayerischen, schwäbischen oder sogar sächsischen Dialekt kommuniziere ich in korrektem Hochdeutsch mit Jedem, der mich eines Gespräches für würdig befindet. Ein weiteres Privileg dieser Stadt, die für ihr gutes Hochdeutsch bekannt ist. Liebe Leser Sie merken ich kann diese Ortschaft nicht hoch genug preisen. So wenn ich doch kein richtiger Teutone bin, mein Herz schlägt trotzdem für die Stadt, in der ich das Licht der Welt erblickte, das kann mir keiner nehmen.
Die Bundesrepublik, in der ich aufgewachsen bin, war eine andere als, die die jetzt existiert. Sie war harmonisch und gerecht. Die Bonner Republik war einfach besser, unkomplizierter, bescheidener und wesentlich europäischer, noch nicht so stark dem osteuropäischen zugewandt und weniger deutschnational.
Das rechtskonservative Gedankengut, welches direkt aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik DDR importiert wurde, hat wie ein gefährliches Krebsgeschwür Besitz von unserer wunderbaren föderalen Demokratie ergriffen. Positiv besetzte Begriffe wie „multikulturell“ oder „Integration“ haben einen negativen, fahlen Beigeschmack erhalten. Ein weiterer Anachronismus, „rechte“ Werte , die aus einem ursprünglich angeblich „linken“ sozialistischen Staat kommen. Der Einfluss dieser Werte, die ich hier mit all meiner mir eigenen Arroganz unterstelle, geht soweit, dass wir die Führung unseres ach so wunderbaren Landes einer Ostdeutschen, die vor 20 Jahren noch Honecker angebetet hat, anvertrauen.
Eine Frau, ein ostdeutscher „Wendehals“ soll über Integration und die soziale Marktwirtschaft entscheiden, als ob unsere Republik die FDJ wäre und die soziale Marktwirtschaft eine straff organisierte Planwirtschaft. Hoffentlich ist es um die Zukunft der Bundesrepublik BRD besser bestellt als um die, der heruntergewirtschafteten, maroden DDR. Die Geschichte wird ihr Urteil fällen und uns zeigen, ob ich ich mit meinen Andeutungen und Unterstellungen richtig lag.
Aber ich eile meiner Geschichte voraus, über „Ostdeutsche“, werde ich mich noch in einem anderem separaten Kapitel zu gegebener Zeit ausführlicher und kritischer auseinandersetzen. Alles zu seiner Zeit, denn alles im Universum hat seine Zeit und seinen Ort.
Mit dem Umzug in ein anderes Viertel dieser wundervollen Stadt begann für mich eine neue Etappe in meiner Existenz. Mit Dreißig musste ich die Kindheit hinter mir lassen und wurde aus meiner gewohnten Umgebung herauskatapultiert. Ein Gewohnheitsmensch, wie ich einer bin, mag keine Veränderung. Die Welt befindet sich im Wandel und Leben ist für sich konstante Änderung und Entwicklung. Aber das Genie braucht seine Rituale und Gewohnheiten. Ein bisschen Konstanz und Ordnung in einem chaotischen Universum, danach habe ich mich immer gesehnt.
Wie so oft blieb die ganze Arbeit des Umzuges und der Wohnungsauflösung an mir hängen. Über 33 Jahre hatte meine Familie dieses Domizil bewohnt. Mit meinen 42 Jahren bin ich als Ausländer harte Arbeit gewohnt, aber das was hier auf mich zu kam, war zu viel des Guten. Meine Eltern, meine Geschwister, alle hatten sie hier residiert, aber am Schluss stand ich doch wieder alleine da.
Um die gängigen Klischees und Vorurteile gegenüber ausländischen Mitbürgern zu bedienen, muss erklärt werden, dass ich natürlich, wie sollte es anders sein, einer kinderreichen Familie angehöre. Vier Geschwister waren wir, zwei Jungen und zwei Mädchen, je abwechselnd zur Welt gekommen, alle, anders als in einer deutschen Familie üblich, vom selben Vater und ehelich!
Mein Bruder, der der Älteste ist, heißt wie mein Vater und vor ihm mein Großvater, Tradition ist eben wichtig. Da mein Bruder leider nur zwei süße Mädchen bekommen hat, ist der Fortbestand des Familiennamens noch nicht gesichert. Merkwürdiger Weise haben meine Schwestern, die mittlerweile in Spanien leben, nur Jungen bekommen. Mein Bruder hingegen, der wie ich hier lebt, Mädchen. Da nur der Mann den Familiennamen weitergibt, wird es wohl an mir sein für männliche Nachkommenschaft zu sorgen, um den glorreichen Namen der Familie Vargas Castillo weiterzuführen. Nur kein Druck, wenn man will das etwas gut und richtig gemacht wird, muss man es immer noch selbst machen!
Nach der Geburt meines letzten Neffen habe ich versucht meine kleine Schwester dazu zu bewegen von dem neuen emanzipatorischen, spanischen Namensrecht, der Regierung Zapatero Gebrauch zu machen und die Nachnamen umzudrehen und vorzuziehen, so dass unserer Familienname und nicht der meines Schwagers weitergegeben wird. Warum sollten nicht auch mal normale Bürger von „Parität“ und „Gleichberechtigung“ profitieren. Aber meine Bemühungen wurden nur mit einem Lächeln abgetan.
Unsere Wohnung in der List befand sich an der Grenze zwischen den Stadtteilen List und Vahrenwald. Wir wohnten noch in der List aber zwei Häuserblocks weiter war dies nicht mehr der Fall, dort begann die dunkle Zone, das Ghetto, wie wir es damals nannten. Heutzutage behauptet jeder von sich in der List zu wohnen, es gilt als schick und modern so einem mondänen, angesehenen Viertel anzugehören. Damals in den guten alten Zeiten hatte soziales Prestige noch nicht diesen hohen Stellenwert. Gewiss, als Kinder lachten wir ebenfalls über Leute, die bestimmte Hosen einer bekannten Marke mit zwei Buchstaben trugen oder über die legendären blauen Plastiktüten eines deutschen Discounters. Im Volksmund gerne „Türkentüten“ genannt. Ein Discounter, der im übrigen Pionierarbeit geleistet hat, für alle ihm folgenden „Billigsupermärkte“. Heutzutage schämt sich keiner mehr die Plastiktüte eines der zahlreichen Discounter zu benutzen. Geiz ist allgemein geil und gesellschaftsfähig geworden. Für uns galt so etwas einfach schlichtweg als „asozial“, und tief im Innern meiner malträtierten Seele fühle ich immer noch so.
Die Wohnung in der List war eine komfortable Fünfraumwohnung in Parterre, ein Altbau aus dem Jahre 1923, mit einem sehr bescheidenem Badezimmer, aber einer riesigen überdimensionierten Küche und hohen Decken. Die Küche war ein Durchgangszimmer und wie in vielen Wohnungen der zentrale Anlaufpunkt für alle. Hier kochte die „Mamá“ und versammelte sich der Familienrat. Seit ich klein bin habe ich davon geträumt selber einmal am Kopf der Tafel zu sitzen und dem Familienrat vorzustehen . Und eines Tages werde ich das auch, denn ich bekomme immer was ich will.
Jeder der einer großen Familie angehört weiß, dass es seit Menschengedenken so ist, dass eine Familie ein Matriarchat ist. Der Mann ist de facto das Familienoberhaupt -allerdings nur auf dem Papier-, denn die wirklich wichtigen Entscheidungen werden von der Ehefrau, der Mutter getroffen. Der Vater bestätigt diese nur, und wahrt so den Anschein das letzte Wort zu haben.
Das Ausräumen beziehungsweise die Wohnungsauflösung war eine gewaltige Aufgabe, an der ich fast verzweifelt wäre. Wo sollte ich anfangen? Lieber Leser/in ich hoffe inständig sie kennen dieses Empfinden, einer so großen Baustelle vorzustehen, dass einem der Überblick abhanden kommt! Fünf Schichten Tapeten mussten abgekratzt werden, drei übereinander verlegte PVC- Böden entsorgt, und zu guter Letzt auch noch Keller und Dachboden geräumt werden.
Eine solche Herausforderung bedurfte gründlicher, präziser, generalstabsmäßiger Planung. Ich musste Struktur in das Chaos bringen. Also verbrachte ich zwei ganze Tage damit einen detaillierten Lageplan zu erstellen. Dort stand in tabellarisch, schriftlicher Form in welcher Reihenfolge ich wie, wo und wann vorzugehen habe. Ein Plan an dem ich mich im Endeffekt nicht hielt, aber deren bloße Existenz mir so viel Selbstsicherheit schenkte. Das beste Beruhigungsmittel hätte diesen Effekt nicht erzielen können.
Wie alles und jeder im Leben hat auch ein Traum seinen Preis, den einer in irgendeiner Form dafür zu entrichten hat. Und mein langgehegter Traum einer Eigentumswohnung erforderte sehr viel Fleiß und Disziplin von mir, mehr als eigentlich in mir steckt. Jeden Tag um acht Uhr zu erscheinen und renovieren und das drei unendliche Monate lang.
Nur mit der sporadischen Unterstützung von Freunden und Verwandten, kämpfte ich mich heldenhaft durch den Schrott von drei Jahrzehnten. Zeitweise war es so als würde unsere Familiengeschichte an mir vorüberziehen, und ich in meinen Erinnerungen alles noch einmal durchleben.
Bemerkenswert ist, wie viel Trödel sich in Laufe von Dreißig Jahren ansammelt! Drei Jahrzehnte sind eine halbe Ewigkeit. Bei der Beseitigung all dieser Altlasten im Keller und Dachboden lernte ich, dass es im Zweifelsfalle immer richtig ist, es dem „Müllgott“ zu überführen, denn sonst macht einer bei der Bewältigung dieser „Herkulesaufgabe“ keine wirklichen Fortschritte. Von Allem konnte mich ohne Probleme trennen, nur die Bücher bereiteten mir Kopfzerbrechen, waren es doch einfach zu viele an der Zahl!
Als Akademiker habe ich eine natürliche Affinität zu Büchern, sehe sie als Träger des Wissens als etwas sakrales an. Demzufolge haben sich im laufe der Jahre tonnenweise Kisten und Koffer mit ihnen angesammelt. Als Historiker weiß ich, dass immer erst die Bücher brennen und dann folgen die Menschen. Erst die Ideen, dann die Bevölkerung. Es war so bei der Inquisition und auch bei den Nationalsozialisten war dies der Fall.
Ich entsorge grundsätzlich keine Bücher egal wie alt und in welch schlechtem Zustand sie sind. Selbst die ökologisch einwandfreie Altpapierentsorgung bedeutet für mich eine inakzeptable Todsünde, etwas was ich nicht übers Herz bringe. Demzufolge mussten alle Kisten und Koffer genau durchgesehen, deren Inhalt minutiös nummeriert und sortiert werden, natürlich in alphabetischer Reihenfolge, wie sollte es auch anders sein. Eine kleiner unbedeutender Tick von mir, der mein Martyrium um einiges verlängerte. Aber meinem ausgeprägten Ordnungssinn musste genüge getan werden.
Unter den zahlreichen Kisten war auch eine große alte Truhe, die uns ein ehemaliger Nachbar, ein Chilene, vermacht hatte. Mein Vater nannte diesen alten Mann immer liebevoll Pinocchio. Aber sein richtiger Name war Don Alfonso und er hatte seltsamerweise tatsächlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem chilenischen Diktator Pinochet, deswegen Pinocchio. Wie der alte General trug er für gewöhnlich eine dunkle Sonnenbrille.
Don Alfonso war ein gütiger, gnädiger, älterer Herr, ein exilierter Chilene, der wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte, eine sehr enge Beziehung zum gestürzten Präsidenten Salvador Allende gehabt hatte. Trotz seines fortgeschrittenen Alters war er ein sehr gebildeter und agiler Zeitgenosse, der viele interessante Geschichten zu erzählen hatte.
Ihm verdanke ich es, dass ich als Jugendlicher schon sehr früh einen Bezug zu Literatur und Geschichte entwickelte. Die Freude in unserer kleinen spanischen Gemeinde war groß , als er nach Santiago de Chile zurückkehren durfte und sein langes Exil ein Ende fand. Seine kurzfristige triumphale Rückkehr hatte zur Folge, dass er nicht alle seine Habseligkeiten mitnehmen konnte. So geschah es, dass die große braune Truhe in den Besitz meiner Familie gelangte. Erst im Keller und später dann auf den Dachboden hatte sie seit Mitte der Achtziger Jahre friedlich dahinvegetiert und sich der Aufmerksamkeit der Familie entzogen, gefüllt mit Antiquitäten und alten Manuskripten sollte sie später ihr großes Geheimnis nur zögerlich preisgeben.
Zu meiner Verblüffung befanden sich in der Truhe nicht nur spanische Schriftstücke, sondern auch einige deutschsprachige, und das obwohl dieser Mann kein einziges Wort dieser Sprache beherrschte. Unter diesen Bücher war eines , welches sofort meine ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. Ein rotes Buch mit einem merkwürdigen nicht zu entziffernden Anagramm. Das Schriftstück war dermaßen alt, zerflattert und gelb, dass es kaum noch als Buch zu identifizieren war. Der Einband in einem leuchtenden Rot war von einer atemberaubenden Schönheit. Ein „eyecatcher“ wie wir es in der heutigen Zeit der florierenden Anglizismen bezeichnen würden.
Ein Buch, dass sich aus der Masse hervorhob und einem sofort ins Auge fiel. Auf Seiden ähnlichem Papier mit rotem Hintergrund las ich in goldenen Lettern den Titel: die Rote Bibel“. „Ui, ganz nach meinem Geschmack, wie für mich geschaffen!“, dachte ich, lebte meine Wenigkeit doch nach der Devise „Links sein, heißt frei sein!“ Hatte das Universum mir ein Zeichen gesendet? Eine Botschaft deren exakten Inhalt ich noch nicht vollständig verstand.
Die große braune Truhe sollte sich in ganzer Linie als Glückstreffer entpuppen, gefüllt mit wertvollen Antiquitäten war sie wahrlich ein Zeichen und ein willkommener Geldsegen, der mir in der Zeit des Umzuges sehr gelegen kam. So konnte ich die Einrichtung meiner neuen Wohnung etwas luxuriöser gestalten. Selbstverständlich erzählte ich niemandem in der Familie von meinem Pfund. Sonst hätte ich womöglich noch Teilen müssen, denn was Mama in Spanien nicht weiß, macht sie nicht heiß!
Abgesehen von den Büchern und Schriftstücken zu denen ich schon eine sentimentale Beziehung entwickelt hatte, was deren Veräußerung unmöglich machte, verkaufte ich die gesamte Truhe und den Inhalt an den erstbesten Antiquitätenhändler. Zeit hatte ich keine um noch Vergleichsangebote einzuholen, denn die Arbeit wartete ungeduldig auf mich; aber zu viel Habgier verdirbt ja bekanntermaßen den Charakter!
Die weitere Entrümpelung ging nach der Aufregung um die Truhe entspannter von dannen. Außer den Büchern war noch jede Menge anderer Kram unter dem alten Zeug, die Überreste einer großen Familie. Von alten Autobatterien bis zu einer nicht mehr funktionierenden Kettensäge. Zu guter Letzt musste auch noch der Sperrmüll zur Entsorgung bestellt werden. Die schiere Menge an Sperrmüll, die sich dann anschließend draußen im Hof befand war immens. Ich war sprachlos - es gehört schon Einiges dazu, dass einem so eloquenten Mann wie mir, die Worte fehlen!
In meinem neuen Viertel, wo ich jetzt wohne, in Ricklingen, würde von einem solch riesigen Haufen am nächsten Morgen die Hälfte auf wundersame Weise abhanden gekommen sein. Eine Armee an Sperrmüllsammlern die begierig die Straßen nach Verwertbarem durchforsten, geben dort dem Begriff Armut eine ganz neue Dimension.
Den Keller und Dachboden besenrein zu bekommen, stellte eine der schwierigsten Aufgaben meines Leben dar. Ich bewerkstelligte sie, perfektionistisch wie ich bin, zur vollsten Zufriedenheit der Wohnungsbaugenossenschaft, so dass die Kaution und Rücklagen, die wir bei Genossenschaft hatten, voll ausgezahlt wurden. Eine Summe, die die ich nach dem Wunsch meiner werten Mutter, in meine neue Wohnung investieren durfte.
Laufe ich durch meine abgezahlte und modernisierte kleine Wohnung und begutachte die neue Heizung und den hochwertigen Parkettboden mit Fußbodenheizung, so weiß ich sicher, dass ich mir alles im Schweiße meines Angesichts erarbeitet habe. Unabhängig davon was Querulanten und Lebenskünstler regelmäßig von sich geben, werden harte Arbeit und Fleiß auch in diesem Land immer noch belohnt. Das Universum findet immer einen Weg dir einen gerechten Lohn zukommen zu lassen!
Kapitel 2
Ein „Kulturrassist“ ist eine Person der von der Überlegenheit seiner eigenen Kultur überzeugt ist. Im begrenzten Masse ist jeder Patriot ein solcher, aber erst die Dosis definiert krankhaftes, pathologisches verhalten. Wie so manches Gift, welches in geringer Menge heilsame Wirkung hat, ist hier ein übermäßige Dosierung toxisch.
Ich bin ein solcher „Kulturrassist“. Meine Wenigkeit ist aufgrund des hohen Bildungsstandes so sehr von seiner eigenen Kultur überzeugt, dass ich andere abwertete. Hass kann eine sehr starke Emotion sein, ein mächtiger Verbündeter, der dir Kraft gibt und Selbstbewusstsein, dich an deinen falschen Überzeugungen bindet und dich blind und unzugänglich macht für logische Argumente . Wann bin ich zu diesem Unmensch mit so grundsätzlichen Vorurteilen geworden, ich weiss es nicht mehr so genau, lasst mich genauer nachdenken. Es geschah in meiner Jugend, noch nicht in der Schulzeit, die war glücklich und frei von Vorurteilen, aber nicht so meine Studienzeit. Ja hier wird es gewesen sein während des Studiums, an einen Ort in Niedersachsen an dessen Namen ich mich nicht mehr zu erinnern vermag.
Es geschah irgendwo in Deutschland in den 90er Jahren an einer renommierten, anerkannten, staatlichen Universität. Bevor ich das studiert habe, was ich erfolgreich und mit Enthusiasmus und Spaß beendet habe, versuchte ich mich in einem anderem Fach zu dem die sogenannten Experten, aufgrund der exzellenten Zukunftsaussichten, damals rieten. Die Rede ist hier von den Ingenieurwissenschaften genauer genommen dem Fach Bauingenieurwesen. Ja ich gehöre zu denen, die ein Studium begonnen haben, es sechs Semester studierten, und dann abbrachen, um etwas anderes zu studieren. Aber das ist eine andere Geschichte, die an einem anderem Tag erzählt werden wird!
Das Bauingenieurwesenstudium ist ein langweiliges und wenig praxisorientiertes, keine Baustellen oder Brücken, die einer besichtigen muss, um die Kraft und Macht zu erkennen , die ein Ingenieur haben sollte. Statt dessen trockene, einschläfernde, geistlose Theorie: Mechanik, Statik, Bauzeichnen, Baustoffkunde, Mathematik etc. Bereits das Auflisten dieser Fächer hinterlässt einen einschläfernden Eindruck und langweilt.
Ich war mit meinen 19 Jahren noch grün hinter den Ohren und idealistisch, bereit die Welt, um mich herum zu erobern, so sollte Man“n“ in dem Alter sicher sein! Zu meinen Leidwesen war ich, aber auch unheimlich faul und undiszipliniert für ein solches anspruchsvolles Studium. So schummelte ich mich, wie all zu oft in meinem Leben, durch und bestand die ersten Prüfungen mit ach und Krach. Was soll es, dachte ich mir, Vier gewinnt und versuchte es weiter.
Eine der vielen schriftlichen Examina, die ich knapp nicht bestand, war die in Statik. Vor die Wahl gestellt die ganze Prüfung zu wiederholen oder mich einer zusätzlichen Mündlichen zu stellen, entschied ich mich für letzteres. Brauchte ich doch nur eine 3.2, um die ganze Prüfung, als bestanden anerkannt zu bekommen. Über Noten machte sich einer damals keine Sorgen, Hauptsache bestanden. Der Tag der Prüfung näherte sich und „lernen“ war für mich ein Fremdwort. In der freudigen Erwartung, dass ich für diese Note nicht viel lernen müsse, um zu bestehen, stellte ich mich mich der mündlichen Prüfung mit der Überzeugung, dass das Universum mir folgen wird, wenn ich den Sieg im Herzen trage. Ich weiß nicht woher, aber ich wusste, dass ich bestehen würde. So stellte ich mich der Herausforderung ohne Vorbereitung aber optimistisch und mutig, wie ein Matador der in die Arena geleitet wird, denn den Mutigen gehört die Welt. Was mich dann in der Prüfung erwartete überraschte mich!
Es war ein Gruppenexamen zusammen mit vier Anderen, stellte ich mich den Statikprofessor. Ein Prüfer, der mir vorher nur durch seine unbedachten Äußerungen über Architekten in den Vorlesungen aufgefallen war. Es war ein älterer, reifer Herr, so um die fünfzig sehr gepflegt und konservativ wirkend, immer humorvoll und schlagfertig. Das Konservative sollte sich bei ihm nicht nur bestätigen, sondern sich als eine tiefe rassistische Grundüberzeugung manifestieren, die mir in diesem Fall zu Gute kam, mir aber die Augen öffnete, in was für einem Land ich lebe.
In der Stadt, in der ich studierte, irgendwo in Deutschland genauer genommen in Norddeutschland gab es sehr viele afrikanische und asiatische Studenten, die mit Stipendien hier her kamen, um sich den Ingenieurwissenschaften zu widmen. Sie waren uns, was ihr Fachwissen angeht bei Weitem überlegen, waren es doch Elitestudenten, die her gesandt wurden, um die berühmte deutsche Ingenieurskunst zu erlernen und dann irgendwann in ihr Herkunftsland zurückzukehren, und das erlernte „Know How“ so zu exportieren. Einer Art Entwicklungshilfe, die bis heute geleistet wird, aber oft daran scheitert, dass die fertigen Akademiker , also Ärzte, Ingenieure, Architekten oder Maschinenbauer gar nicht in hier Herkunftsland zurückzukehren wollen.
Aber ich schweife ab und entferne mich vom Wesentlichen. Diese Studenten aus fernen Lande schienen nicht nur sehr klug und exotisch sondern, fielen auch durch ihre oft begrenzten Deutschkenntnisse auf. Also um es deutlicher und weniger politisch korrekt auszudrücken, sie sprachen alle nur sehr gebrochen Deutsch und erhielten von dem Professor auch ein entsprechende Behandlung.
Der Professor sprach Sie ebenfalls in gebrochenen Deutsch an. Ich weiß nicht, ob es eine Bezeichnung gibt für das „Deutsch“, das einige mit Ausländern sprechen, wenn sie merken , dass deren Deutschkenntnisse begrenzt sind, ich werde es hier in meiner künstlerischen Freiheit „Deutschkanakisch“ nennen. Der Professor sprach auf jeden Fall so mit ihnen in „Deutschkanakisch“.
Anders als meine Wenigkeit waren diese Kommilitonen nicht nur interessiert daran zu bestehen, nein sie machten diese Prüfung teilweise sogar freiwillig, um ihre Note zu verbessern. Streber würde ein einfacher Mensch denken, nein einfach nur Elitestudenten, die von Weit herkamen um sich weiterzubilden. In Ihrer Denkweise schuldeten Sie es Ihrem Herkunftsland, die bestmögliche Note zu erlangen. Da saß ich nun, als einziger Weißer in ein mündlichen Prüfung mit drei Afrikanern und einen Asiaten, die mir in ihrem Fachwissen weit überlegen waren. Trotzdem saßen wir alle im selben Boot und waren den Launen des Prüfers ausgeliefert. Lieber Leser ich hoffe Sie erkennen die Ironie und den Witz dieser Situation, wenn Sie sich das Bild der Prüfung vor Ihrem Geistigen Auge führen!
Ohne viel Fachwissen, aber mit korrektem, akzentfreien und fliesendem Deutsch versuchte ich mich während der ganzen Prüfungsstunde hervorzutun. Eloquent, wie ich bin, dachte ich, wenigstens in dieser Hinsicht punkten zu können, der Professor sprach mit mir in „Normaldeutsch“. Bei fünf Prüflingen in 45 Minuten bleiben für einen Einzelnen nur wenige Fragen, maximal zwei bis drei Fragen pro Kandidat, um sein Wissen unter Beweis zu stellen. Als die Reihe an mir war zu antworten, stellte mir der Professor mehrere Fragen und dann schließlich eine über Auflagerkräfte. Es war eine 50 zu 50 Frage und ich ratete richtig! Selbstsicher und arrogant wie ich oft wirke, wusste ich am Blick des Professors, dass ich richtig geraten hatte. Dann fragte er mich noch warum, ich wusste es nicht, hatte ich doch vorher nur geraten, deshalb schwieg ich einfach. Ich versuchte mich nicht rauszureden, und irgendetwas zu erzählen, hielt einfach meinen Mund, denn in einen geschlossenen Mund kommen keine Fliegen. Manchmal ist Schweigen einfach Gold! Dumm muss ich wohl ausgesehen haben, als ob ich nicht verstehen würde, was er von mir will, aber ich hatte einfach keine Ahnung und hielt den Mund. Weiter ging die Prüfung mit den Anderen und war dann auch schnell vorbei. Obwohl es einem damals wie eine halbe Ewigkeit vorkam, als ob sich die Zeit dehnen würde und nie enden wird. Jeder fragte sich, kommt er noch einmal dran, aber das war es dann auch gewesen.
Als es dann daran ging zu zensieren, nahm sich der Prüfer einige Minute, schickte uns aber nicht raus, sondern lies uns dort sitzen. Ging die Liste mit den Namen durch und schaute jeden einzelnen streng und tief in die Augen, als es dann an mir war, betrachte der Professor meinen Namen, der ausländisch und spanisch war, überlegte und sagte:
„Achso, Sie sind auch nicht von hier, woher kommen Sie denn?“ „Ich komme aus Spanien.“ antwortete ich kurz und prägnant. „ Das werde ich beim Zensieren natürlich berücksichtigen, ich dachte wenigstens Sie würden mich richtig verstehen.“
Ich sagte wieder Nichst, lächelte nur, klärte ihn aber nicht auf, dass ich Bildungsinländer sei und hier aufgewachsen bin und ihn perfekt verstand, zumindest sprachlich.
Sicher bin ich in meinem Leben vieles gewesen dick, langsam, stolz, arrogant und manchmal sogar besserwisserisch, aber nie Dumm. Nein, dass bin ich nicht. So schwieg ich auch weiter, und hatte nicht die Zivilcourage den Prüfer die volle Wahrheit zu erzählen. Denn diese hängt oft vom Auge des Betrachters ab, hatte ich ja nicht gelogen, ich bin und werde es immer sein: Spanier. Warum sollte ich nicht von der rassistischen Arroganz eines alten Mannes profitieren, oft wird einer als jemand mit Migrationshintergrund benachteiligt, warum nicht einmal Vorteile davon haben. Ich war glücklich in dieser Situation. Aber ich glaube nicht an das Glück. Es gibt dir keiner Glück, das musst du dir immer selber nehmen! Und das tat ich in diesem Moment und bestand mit 2.3. Ich war happy bestanden zu haben und lästerte mit den anderen Prüflingen noch kräftig über den Professor.
Auch aus meiner jetzigen Perspektive über zwei Jahrzehnte später, erscheint mir dieser Augenblick der Prüfung, als ob er gerade eben passieren würde. Ich sehe die Gesichter der Kommilitonen vor mir, den Prüfer mit seinen beschränkten Geist und alles erscheint mir so surreal, als ob es aus einem absurden Theaterstück entnommen worden sei. Was müssen erst die Afrikaner, die über einen messerscharfen Intellekt verfügten, empfunden haben? Damals hatte ich eine sehr naive Sichtweise auf die Gesellschaft, glaubte an das Gute in dem Menschen und in der Gesellschaft, wollte mir nicht eingestehen, was ich gesehen hatte. Ungewollt hatte mir dieser verrückte Professor einen Augenblick absoluter Klarheit verschaft. In dem du für den Bruchteil einer Sekunde im Dunkel sehen kannst erlangst du einen Moment der vollkommenen Klarheit, wie dir das Universum nur sehr wenige schenkt. Ich sah unsere Gesellschaft mit all ihren Vorurteilen, wie sie wirklich ist! Hitlers Kinder hatten sich mir offenbart und sich mir gezeigt. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Sie sich mir zeigen! Die seelenlosen Lakaien der Orthodoxie sollten zurückzukehren. Ganz kurz hatte ich das Licht gesehen, ich konnte es nicht länger ignorieren und eine rosarote Brille aufsetzen, diese Erfahrung hatte mich geprägt.
Ich schuldete es der Stadt und dem Gemeinwohl etwas zu unternehmen, konnte es nicht hinnehmen, dass die Sachen sind, wie sie sind! Ich war ja hier geboren und aufgewachsen, hatte mich immer, als Teil dieser Gesellschaft empfunden. Es konnte nicht sein, was ich gesehen hatte, dass Rassismus und Vorurteile so tief gehen! Kaum vorzustellen das ich mich in Mitteleuropa in Deutschland ein paar Jahre vor dem Beginn des 21. Jahrhunderts befand. Ist es möglich, dass das hier und diesem Land mit dieser Geschichte geschieht. Wo war ich? Wo ist das geschehen? Es geschah irgendwo in Deutschland...
Von diesem Tag an war ich besessen vom rassistischen Wesen der Deutschen, sah überall Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Wenn einer voller Misstrauen und Argwohn durch die Welt geht ist es nur eine frage der Zeit bis dieses auch bestätigt wird. Das Böse lauert überall und will entdeckt werden.
Kapitel 3
Es war kalt, aber die Kälte war nicht nur draußen, sondern auch in unseren Herzen. Ich fuhr, wie gewöhnlich nach hause, obwohl nicht mehr in der List wohnend, verbrachte ich immer noch sehr viel Zeit dort. Hatte mich an mein neues Viertel in Ricklingen noch nicht adaptiert. Ich vermisste meine alte Wohnung, meine alte Umgebung, die Spontanität. Die Möglichkeit schnell und unkompliziert Freunde zu treffen und mein altes Viertel: die List fehlten mir so sehr. Die langen Spaziergänge in der Lister Meile und die kurzen spontanen Zigaretten im Vahrenwalder Park gehörten jetzt der Vergangenheit an. Kaum zu glauben, dass einer so stark an seiner gewohnten Umgebung hängen kann! Alles fehlte mir insbesondere meine alte Wohnung, die um einiges größer war, jeder einzelne Quadratmeter weniger war eine unerträgliche Pein in meiner Seele, selbst der Schimmel besagter Altbauwohnung sorgte auf einer sehr merkwürdigen Ebene für latente Entzugserscheinungen.
Wenn einer für lange Zeit an einen Ort verbleibt, lässt er etwas von sich dort für immer zurück. Es ist als ob man mit Objekten und Orten auf eine mysteriöse Weise verbunden wäre. Ich bin mir sicher, dass in meiner alten Wohnung die ich 33 Jahre bewohnte, meine Präsenz noch spürbar ist, schaut einer dort in die Ecken einer der Räume und geht den sehr langen geräumigen Flur entlang kann er, wenn er sich nur konzentriert meine Präsenz spüren, es ist wie ein Schatten den einer zurücklässt ein Echo seiner selbst, der bis ans Ende der zeit dort verbleibt oder nur bis die Erinnerung, der Vergessenheit anheim fällt.
Hätte ich in der Zeit des Umzuges und Einlebens im neuem Viertel nicht einem meiner besten Freunde Sebastian zur Seite gehabt, wäre Alles noch wesentlich schwieriger gewesen. Basti half mir mich einzuleben und zeigte mir das die Gegend in die ich gezogen war auch ihren ganz eigenen Charme hatte.
Sebastian war das Computergenie unter uns. Bereits in den 80er Jahren programmierte er auf seinen Commodore C64 komplexe Programme in rudimentären Basic. Es gab keinen Computertrend den er nicht mitmachte und über den er nicht Bescheid wusste. Ob die ersten aufkommenden Prozessoren der Marke mit dem „P“, das mittlerweile marktdomierende „Fensterbetriebssystem“ oder die bekannte Marke mit den abgebissenen Apfel. Ob Smartphone, PC , Notebook oder Tablet, er konfigurierte dir alles. Wenn du einen neuen Router hattest und dieser nicht so wollte wie du es gerne hättest? Wenn hast du dann gerufen? Sebastian, natürlich, sein Wissen und sein Talent, was Technik und Computer betrifft, war legendär.
Als jemand der beruflich selber mit Computer zu tun hat, gebe ich es ja ungern zu, aber, er wusste definitiv mehr als ich und er lies dich an seinem Wissen teilhaben. Konnte dich mit seiner Begeisterung für einfache Dinge anstecken und mehrte so dein Wissen um einiges. In einer anderen Realität wäre er bestimmt ein zweiter Bill Gates oder Steve Jobs geworden. Aber aus Menschen unserer Klasse und Herkunft kann in diesem Land Nichts werden, denn wir leben ja in einem modernen „Apartheidsstaat“! Wie seine Mutter nannte ich Sebastian bei seinem vollem Namen, nicht „Basti“ wie ihn alle nannten. Ich kannte ihn seit der Grundschule, deswegen nahm ich mir dieses Privileg heraus.
So groß wie sein Talent war auch seine Hilfsbereitschaft. Er war der am meisten unterschätzte unter uns vier, klein und unauffällig aber auf seine weise genial. Denn vier Freunde waren wir. Ali, Theo, Sebastian und ich. Ein Türke, ein Grieche, ein Spanier und ein Deutscher, unzertrennlich in unseren besten Zeiten und auch gefürchtet in unserem Viertel.
Manchmal wünsche ich mir, ich hätte Sebastians Stärke seinen Mut, seinen Idealismus für das einzustehen voran man glaubt. Denke ich ich heute mit meinen reifen 42 Jahren zurück an Sebastian, bin ich sehr traurig, den Tränen nahe, aber gleichzeitig auch Stolz und voller Bewunderung. Mir ist dann immer so, als würde ich seine beruhigende flüsternde Stimme hören, die mir sagt: „Never change a running system !“oder eine seiner gefürchteten Hasstiraden gegen Polizisten. Ja, er hasste die Polizei mit jeder Faser seines Körpers. Er hatte eine natürliche Abneigung gegen die Männer in grün. Damals war die Polizei in Niedersachsen noch in ihrer alten bewerten Uniform, grün statt blau. Seine Aversion gegen die Ordnungskräfte ist auch einer der Gründe warum er, obwohl er Deutscher war, trotzdem zu uns drei sehr gut passte. Er war das Bindeglied zwischen uns vier, der der mehr als nur einfache Freunde aus uns machte, wir waren Brüder - im Geiste Verwandte - die in ihrem Hass und Abscheu gegenüber dem System vereint waren. Denn die die über die Wahrheit bescheid wissen, sind mehr als Freunde: sie sind Brüder!
Wie jener famose Ritter aus la Mancha der durch die intensive Lektüre von Ritterromanen eine leichte Faszination für Windmühlen entwickelte, bewirkte intensive Beschallung und die Lektüre von Rapsongs bei Sebastian eine innere Rebellion gegen das System, die sich in einer ausgeprägten Abneigung gegen Polizisten manifestierte! Woher seine „Polizistenliebe“ wirklich herrührt sollte ich erst viel später herausfinden.
Wenn einmal -hoffentlich in sehr ferner Zukunft- mein Lebenslicht erlischt, und das Universum mich zu sich ruft, um mich und meine unsterbliche Seele dem großen materiellen Kontinuum zuzuführen, hoffe ich einen so glorreichen und mutigen Tod wie Sebastian zu haben! Denn er hatte einen ruhmreichen Tod. Ein letzter großer Auftritt, wie er nur wenigen zu teil wird und wer mich gut kennt, weiß, dass ich ein Schwäche für große Auftritte habe! Aber die Geschichte seines Ablebens ist ein andere, die an einem anderem Tag erzählt werden wird.
Während meines Umzuges und der Renovierung meiner neuen Wohnung weilte Sebastian noch unter uns; er war sogar quicklebendig in der Blüte seines Lebens mit seinen 32 Jahren. Wie ich ein erlesener 74er so Jahrgang. Wir hatten noch keine Ahnung wie groß sein Talent, was Computer und Programmieren angeht war, wussten nicht, dass er insgeheim einer der bekanntesten Hacker Deutschlands war und eine wichtige Rolle in der aufkommenden „Anonymousbewegung“ inne hatte. Wir sollten es aber sehr bald rausfinden...
Sebastian war ein Einzelkind, ein deutscher mit polnischen Wurzeln, der gerne Geschwister gehabt hätte, aber man will ja immer, was man nicht hat. Das ist auch einer der Gründe warum er so häufig bei mir zu Gast war. Während ich über das laute nervige Geschreie meiner lieben Mutter und die regelmäßigen Streitereien mit meinen Geschwistern erzürnt war, genoss er diese Augenblicke. Wie ein Außerirdischer, der neugierig die neue Spezies Mensch erforscht, beobachtete er mit viel Interesse und Neugier meine große komplexe Familie.
Seine alleinerziehende Mutter hatte immer alle Mühe seinen kostspieligen Computerkapriolen nachzukommen, aber als Einzelkind kam er immer auf seine kosten! Einer der Gründe warum ich so gerne mit ihm meine wertvolle Zeit verbrachte war dass er nicht nur sympathisch und unterhaltsam – einfach einer der liebsten Menschen der Welt war, sondern er einfach Alles hatte. Alles außer genug Liebe.
Seine Mutter die neben ihrer anstrengenden Schicht - und Akkordarbeit in einer Fabrik auch noch als Reinigungskraft nebenbei tätig war, konnte ihrem Sohn nicht genug Zeit widmen. Dabei war gerade er ein Kind dass viel Aufmerksamkeit bedurft hätte. Die Folge war ein schüchterner zurückhaltender junger Mann , der nur sehr spät zu sich selber fand. Als Dankeschön dafür dass Sebastian sehr oft bei uns zu hause zu Gast war und meine Eltern auch auf ihn aufpassten, hütete seine Mutter zwei mal die Woche mich und meine kleine Schwester. Ich fand das immer wunderbar und aufregend, so war ich im Stande noch mehr Zeit mit einem meiner besten Freunde zu verbringen. Sebastians Mutter genoss diese Augenblicke ebenfalls, obwohl sie dass natürlich nicht zugab. So konnte sie meiner kleinen niedlichen Schwester die Haare bürsten, und für kurze Zeit fühlen wie es wäre eine Tochter zu haben. Während meine Eltern ihren wöchentlichen Kartenspielabend genossen und uns in der Obhut Elsiabetas ließen, war ich im Stand mit Sebastian neue Streiche auszuhecken.
Zwei Dinge sind Spaniern neben ihren zahlreichen Schutzheiligen und Jungfrauen wichtig, das ist einmal der Fußball und außerdem auch noch das Kartenspielen. Bei den vielen Heiligen und Jungfrauen, die es in meinem Land gibt, ist es ein Wunder, das dort noch genug Kinder zur Welt kommen und es überhaupt noch Einwohner gibt. Meine Großmutter in Valencia, sie ruhe in Frieden, ist mit 97 Jahren noch zwei mal wöchentlich Kartenspielen gewesen. Meine Eltern waren in dieser Beziehung, obwohl sie nicht sehr gesellige Menschen waren, nicht anders. Jeweils Donnerstags und Samstags machten sie sich auf den weg nach Linden dem spanischen Viertel dieser wunderbaren Stadt. Dort frönten sie fleisig nach Geschlechtern getrennt ihrer Spielleidenschaft und brachten sich auf den neuesten Stand, was Klatsch und Tratsch in unserer kleinen spanischen Kolonie. Je nach der Laune meines Vaters, konnte ich am nächsten Tag erraten ob er an diesem Tag eine Glückssträhne gehabt hatte. Das war dann immer einer der Momente in denen ich bei meinem Vater etwas erreichen konnte, sei es auch nur eine kleine Erweiterung meines Taschengeldes. Sonst war natürlich für mich als guter Sohn immer meine Mutter meine erste Anlaufstation.
Obwohl Sebastian ein hartes und graues Wesen zu haben schien, hatte er auch ein weiche sanftmütige ernsthafte Seite an sich, die nur wenige kannten. Gutmütigkeit ist wohl etwas an das man nicht jeden teilhaben lässt! Er war derjenige, der herausfand, dass ich in Ricklingen nur acht Minuten vom Maschsee entfernt wohnte, ein Erkenntnis, die uns tägliche Spaziergänge bescherte und mir die Erleuchtung, das jedes Viertel in dieser großartigen Stadt etwas Besonderes ist.
Der Maschsee ist ein künstlich angelegter See mit 7,2 km Umfang ein beliebtes Ausflugsziel und die schönste Jogging-strecke der Welt! Da immer wieder gerade von älteren Menschen die Behauptung aufgestellt wird, dass Adolf Hiltler diesen See erbauen lies, sollte hier einmal richtig gestellt werden, dass die Planung dieses Gewässers bereits aus Zeiten der Weimarer Republik stammte. Der faschistische Diktator beendete den Bau nur und gefiel sich nur wie jeder Despot in Rolle des edlen Spenders und Arbeitsbeschaffer. Alle Jahre wieder, wenn es kalt und gemütlich wird und der Winter naht, es zu frieren beginnt, stellt sich mir die selbe frage. Wird der Maschsee dieses Jahr gefrieren? Wird die Eisdecke die nötige dicke erreichen auf das die Behörden den See zu Begehung und zum Schlittschuh-fahren freigeben?
Die nähe zum See lies mein neues Viertel in meiner Wertschätzung um einiges steigen. Aber erst die letzte Lieferung einiger meiner neuen Designermöbel, bewirkte, dass ich definitiv realisierte, dass ein neuer Lebensabschnitt für mich begann, ein Wendepunkt in meinem Leben. Die Entfernung zu List betrug mit der Straßenbahn nur zehn Minuten, ich war also in Reichweite meiner freunde und nicht, wie ich befürchtete aus dem Auge und aus dem Sinn.
Kapitel 4
Irgendwie hatte ich
das Gefühl, dass ich diese Polizistin wiedersehen sollte ein Gefühl
in meinem Bauch , was mich noch nie getäuscht hatte, sagt mir dies!
©R.M.A
Es heißt, dass jede Geschichte, die einen Anfang hat, auch ein Ende hat. Beides hier einzugrenzen ist schwer, denn Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind in diesem Falle sehr eng miteinander verbunden. Nur unser schlechtes Gedächtnis sorgt dafür, dass wir Zusammenhänge nicht erkennen. Um der Größe und Tragweite dieser Geschichte gerecht zu werden, beginne ich mit meiner Erzählung vor längerer Zeit.
Es war einmal vor
langer Zeit genauer genommen vor mehreren Jahren, als ich noch jünger
war, die Welt besser, weniger verschmutzt, und ich zugleich auch
noch wesentlich mehr Haare auf den Kopf hatte.
Alles
begann damit, dass ich die Wohnung in der ich mein ganzes, bescheidenes
Leben verbracht hatte, verlassen musste. Es war ein Abschied für immer.
Ich hatte mich verbessert und mir eine Eigentumswohnung zugelegt.
Bessere Wohnung, schlechteres Viertel. Man kann eben nicht alles haben!
Es es ist keine perfekte Welt in der wir leben!Meine gesamte Kindheit hatte ich in diesem besseren Stadtteil, der List, verbracht. Ein multikulturelles Flair in dem Griechen, Spanier, Türken und Deutsche in harmonischer Koexistenz lebten, gab diesem Viertel etwas Außergewöhnliches. Die Stadt an der Leine war um die Jahrtausendwende kurzzeitig aus ihrer provinziellen Lethargie hervorgetreten und hatte mit der Organisation der Weltausstellung den Anschein erweckt zu einer blühenden Millionenmetropole werden zu wollen. Als ob eine wachsende Urbanisierung und eine erweiterte Infrastruktur dieses Schmuckstück noch verschönern könnte. Ein Juwel ist ein Juwel und bleibt eines. Ein funkelnder Diamant ist diese Metropole unter den deutschen Großstädten, von hier kann einer als Steigerung nur noch in den Himmel!
Wie alle -oder sollte ich nicht besser genauer sagen viele- Spanier habe ich den Drang nach Eigentum, als ob wir es in den Genen hätten. Und was für Gene es sind..., die Reihe meiner Ahnen lässt sich in direkter Linie bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Aber das Schicksal hat es so gewollt, dass ich außerhalb meiner geliebten spanischen Heimat im kalten tristen Deutschland zur Welt gekommen bin, dieses Land aber nie als das Meine ansehen konnte, ein merkwürdiges Paradoxon, ich weiß. Aber so geht es vielen Menschen mit Migrationshintergrund. „Fremd im eigenen Land“ ist hier die Devise!
Als Gastarbeiterkind habe ich es trotz der Rückschläge in meiner Schul -und Studienzeit immer als Privileg und Bereicherung verstanden, beide Kulturen und Sprachen zu verstehen und zu leben. Der Zugriff zur Deutschen Klassik soll mir zwar nach der inkompetenten Meinung meiner ehemaligen Deutschlehrerin verwehrt bleiben, da diese Sprache nicht meine Muttersprache sei. Aber wer schert sich schon, um Goethe oder Schiller, wenn er Cervantes und Lope de Vega hat? Liebe Leser ich lasse mir hier keinen mangelnden Integrationswillen unterstellen, meine abwertende Haltung gegenüber Deutschen ist die Summe meiner Erfahrungen. Mein ganzes miserables Leben habe ich dieses bedauernswerte Volk beobachtet und ihre offensichtliche Dekadenz begründe ich mit:
Ihrer mangelnden Körperhygiene,
Ihren rülpsende Lauten, die sie von sich geben, wenn sie zu viel Bier konsumiert haben.
Ihrem barbarischen Benehmen, sobald sie sich in Urlaub befinden (genannt das Ballermannsyndrom).
Ja welches Volk trägt sonst noch zu Sandalen Socken? Nein, ohne jeden Zweifel handelt es sich bei den Deutschen um eine ganz eigene Spezies, die intensivere Studien erfordert. Ich weiß, dass bereits die alten Römer die Germanen als Barbaren bezeichnet haben. Schon dort hatten germanische Frauen den Ruf behaarte Beine zu haben, aber zweitausend Jahre und keine Fortschritte! Ein solches Negieren der Evolution ist schon fast beleidigend! Kein Wunder, dass die Deutschen zwei Weltkriege verloren haben.
Meine Kenntnisse der hiesigen Sprache sind mündlich so wie schriftlich überdurchschnittlich gut, besser als viele deutsche artikuliere ich mich akzentfrei in ihr. Ohne hinterwäldlerischen bayerischen, schwäbischen oder sogar sächsischen Dialekt kommuniziere ich in korrektem Hochdeutsch mit Jedem, der mich eines Gespräches für würdig befindet. Ein weiteres Privileg dieser Stadt, die für ihr gutes Hochdeutsch bekannt ist. Liebe Leser Sie merken ich kann diese Ortschaft nicht hoch genug preisen. So wenn ich doch kein richtiger Teutone bin, mein Herz schlägt trotzdem für die Stadt, in der ich das Licht der Welt erblickte, das kann mir keiner nehmen.
Die Bundesrepublik, in der ich aufgewachsen bin, war eine andere als, die die jetzt existiert. Sie war harmonisch und gerecht. Die Bonner Republik war einfach besser, unkomplizierter, bescheidener und wesentlich europäischer, noch nicht so stark dem osteuropäischen zugewandt und weniger deutschnational.
Das rechtskonservative Gedankengut, welches direkt aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik DDR importiert wurde, hat wie ein gefährliches Krebsgeschwür Besitz von unserer wunderbaren föderalen Demokratie ergriffen. Positiv besetzte Begriffe wie „multikulturell“ oder „Integration“ haben einen negativen, fahlen Beigeschmack erhalten. Ein weiterer Anachronismus, „rechte“ Werte , die aus einem ursprünglich angeblich „linken“ sozialistischen Staat kommen. Der Einfluss dieser Werte, die ich hier mit all meiner mir eigenen Arroganz unterstelle, geht soweit, dass wir die Führung unseres ach so wunderbaren Landes einer Ostdeutschen, die vor 20 Jahren noch Honecker angebetet hat, anvertrauen.
Eine Frau, ein ostdeutscher „Wendehals“ soll über Integration und die soziale Marktwirtschaft entscheiden, als ob unsere Republik die FDJ wäre und die soziale Marktwirtschaft eine straff organisierte Planwirtschaft. Hoffentlich ist es um die Zukunft der Bundesrepublik BRD besser bestellt als um die, der heruntergewirtschafteten, maroden DDR. Die Geschichte wird ihr Urteil fällen und uns zeigen, ob ich ich mit meinen Andeutungen und Unterstellungen richtig lag.
Aber ich eile meiner Geschichte voraus, über „Ostdeutsche“, werde ich mich noch in einem anderem separaten Kapitel zu gegebener Zeit ausführlicher und kritischer auseinandersetzen. Alles zu seiner Zeit, denn alles im Universum hat seine Zeit und seinen Ort.
Mit dem Umzug in ein anderes Viertel dieser wundervollen Stadt begann für mich eine neue Etappe in meiner Existenz. Mit Dreißig musste ich die Kindheit hinter mir lassen und wurde aus meiner gewohnten Umgebung herauskatapultiert. Ein Gewohnheitsmensch, wie ich einer bin, mag keine Veränderung. Die Welt befindet sich im Wandel und Leben ist für sich konstante Änderung und Entwicklung. Aber das Genie braucht seine Rituale und Gewohnheiten. Ein bisschen Konstanz und Ordnung in einem chaotischen Universum, danach habe ich mich immer gesehnt.
Wie so oft blieb die ganze Arbeit des Umzuges und der Wohnungsauflösung an mir hängen. Über 33 Jahre hatte meine Familie dieses Domizil bewohnt. Mit meinen 42 Jahren bin ich als Ausländer harte Arbeit gewohnt, aber das was hier auf mich zu kam, war zu viel des Guten. Meine Eltern, meine Geschwister, alle hatten sie hier residiert, aber am Schluss stand ich doch wieder alleine da.
Um die gängigen Klischees und Vorurteile gegenüber ausländischen Mitbürgern zu bedienen, muss erklärt werden, dass ich natürlich, wie sollte es anders sein, einer kinderreichen Familie angehöre. Vier Geschwister waren wir, zwei Jungen und zwei Mädchen, je abwechselnd zur Welt gekommen, alle, anders als in einer deutschen Familie üblich, vom selben Vater und ehelich!
Mein Bruder, der der Älteste ist, heißt wie mein Vater und vor ihm mein Großvater, Tradition ist eben wichtig. Da mein Bruder leider nur zwei süße Mädchen bekommen hat, ist der Fortbestand des Familiennamens noch nicht gesichert. Merkwürdiger Weise haben meine Schwestern, die mittlerweile in Spanien leben, nur Jungen bekommen. Mein Bruder hingegen, der wie ich hier lebt, Mädchen. Da nur der Mann den Familiennamen weitergibt, wird es wohl an mir sein für männliche Nachkommenschaft zu sorgen, um den glorreichen Namen der Familie Vargas Castillo weiterzuführen. Nur kein Druck, wenn man will das etwas gut und richtig gemacht wird, muss man es immer noch selbst machen!
Nach der Geburt meines letzten Neffen habe ich versucht meine kleine Schwester dazu zu bewegen von dem neuen emanzipatorischen, spanischen Namensrecht, der Regierung Zapatero Gebrauch zu machen und die Nachnamen umzudrehen und vorzuziehen, so dass unserer Familienname und nicht der meines Schwagers weitergegeben wird. Warum sollten nicht auch mal normale Bürger von „Parität“ und „Gleichberechtigung“ profitieren. Aber meine Bemühungen wurden nur mit einem Lächeln abgetan.
Unsere Wohnung in der List befand sich an der Grenze zwischen den Stadtteilen List und Vahrenwald. Wir wohnten noch in der List aber zwei Häuserblocks weiter war dies nicht mehr der Fall, dort begann die dunkle Zone, das Ghetto, wie wir es damals nannten. Heutzutage behauptet jeder von sich in der List zu wohnen, es gilt als schick und modern so einem mondänen, angesehenen Viertel anzugehören. Damals in den guten alten Zeiten hatte soziales Prestige noch nicht diesen hohen Stellenwert. Gewiss, als Kinder lachten wir ebenfalls über Leute, die bestimmte Hosen einer bekannten Marke mit zwei Buchstaben trugen oder über die legendären blauen Plastiktüten eines deutschen Discounters. Im Volksmund gerne „Türkentüten“ genannt. Ein Discounter, der im übrigen Pionierarbeit geleistet hat, für alle ihm folgenden „Billigsupermärkte“. Heutzutage schämt sich keiner mehr die Plastiktüte eines der zahlreichen Discounter zu benutzen. Geiz ist allgemein geil und gesellschaftsfähig geworden. Für uns galt so etwas einfach schlichtweg als „asozial“, und tief im Innern meiner malträtierten Seele fühle ich immer noch so.
Die Wohnung in der List war eine komfortable Fünfraumwohnung in Parterre, ein Altbau aus dem Jahre 1923, mit einem sehr bescheidenem Badezimmer, aber einer riesigen überdimensionierten Küche und hohen Decken. Die Küche war ein Durchgangszimmer und wie in vielen Wohnungen der zentrale Anlaufpunkt für alle. Hier kochte die „Mamá“ und versammelte sich der Familienrat. Seit ich klein bin habe ich davon geträumt selber einmal am Kopf der Tafel zu sitzen und dem Familienrat vorzustehen . Und eines Tages werde ich das auch, denn ich bekomme immer was ich will.
Jeder der einer großen Familie angehört weiß, dass es seit Menschengedenken so ist, dass eine Familie ein Matriarchat ist. Der Mann ist de facto das Familienoberhaupt -allerdings nur auf dem Papier-, denn die wirklich wichtigen Entscheidungen werden von der Ehefrau, der Mutter getroffen. Der Vater bestätigt diese nur, und wahrt so den Anschein das letzte Wort zu haben.
Das Ausräumen beziehungsweise die Wohnungsauflösung war eine gewaltige Aufgabe, an der ich fast verzweifelt wäre. Wo sollte ich anfangen? Lieber Leser/in ich hoffe inständig sie kennen dieses Empfinden, einer so großen Baustelle vorzustehen, dass einem der Überblick abhanden kommt! Fünf Schichten Tapeten mussten abgekratzt werden, drei übereinander verlegte PVC- Böden entsorgt, und zu guter Letzt auch noch Keller und Dachboden geräumt werden.
Eine solche Herausforderung bedurfte gründlicher, präziser, generalstabsmäßiger Planung. Ich musste Struktur in das Chaos bringen. Also verbrachte ich zwei ganze Tage damit einen detaillierten Lageplan zu erstellen. Dort stand in tabellarisch, schriftlicher Form in welcher Reihenfolge ich wie, wo und wann vorzugehen habe. Ein Plan an dem ich mich im Endeffekt nicht hielt, aber deren bloße Existenz mir so viel Selbstsicherheit schenkte. Das beste Beruhigungsmittel hätte diesen Effekt nicht erzielen können.
Wie alles und jeder im Leben hat auch ein Traum seinen Preis, den einer in irgendeiner Form dafür zu entrichten hat. Und mein langgehegter Traum einer Eigentumswohnung erforderte sehr viel Fleiß und Disziplin von mir, mehr als eigentlich in mir steckt. Jeden Tag um acht Uhr zu erscheinen und renovieren und das drei unendliche Monate lang.
Nur mit der sporadischen Unterstützung von Freunden und Verwandten, kämpfte ich mich heldenhaft durch den Schrott von drei Jahrzehnten. Zeitweise war es so als würde unsere Familiengeschichte an mir vorüberziehen, und ich in meinen Erinnerungen alles noch einmal durchleben.
Bemerkenswert ist, wie viel Trödel sich in Laufe von Dreißig Jahren ansammelt! Drei Jahrzehnte sind eine halbe Ewigkeit. Bei der Beseitigung all dieser Altlasten im Keller und Dachboden lernte ich, dass es im Zweifelsfalle immer richtig ist, es dem „Müllgott“ zu überführen, denn sonst macht einer bei der Bewältigung dieser „Herkulesaufgabe“ keine wirklichen Fortschritte. Von Allem konnte mich ohne Probleme trennen, nur die Bücher bereiteten mir Kopfzerbrechen, waren es doch einfach zu viele an der Zahl!
Als Akademiker habe ich eine natürliche Affinität zu Büchern, sehe sie als Träger des Wissens als etwas sakrales an. Demzufolge haben sich im laufe der Jahre tonnenweise Kisten und Koffer mit ihnen angesammelt. Als Historiker weiß ich, dass immer erst die Bücher brennen und dann folgen die Menschen. Erst die Ideen, dann die Bevölkerung. Es war so bei der Inquisition und auch bei den Nationalsozialisten war dies der Fall.
Ich entsorge grundsätzlich keine Bücher egal wie alt und in welch schlechtem Zustand sie sind. Selbst die ökologisch einwandfreie Altpapierentsorgung bedeutet für mich eine inakzeptable Todsünde, etwas was ich nicht übers Herz bringe. Demzufolge mussten alle Kisten und Koffer genau durchgesehen, deren Inhalt minutiös nummeriert und sortiert werden, natürlich in alphabetischer Reihenfolge, wie sollte es auch anders sein. Eine kleiner unbedeutender Tick von mir, der mein Martyrium um einiges verlängerte. Aber meinem ausgeprägten Ordnungssinn musste genüge getan werden.
Unter den zahlreichen Kisten war auch eine große alte Truhe, die uns ein ehemaliger Nachbar, ein Chilene, vermacht hatte. Mein Vater nannte diesen alten Mann immer liebevoll Pinocchio. Aber sein richtiger Name war Don Alfonso und er hatte seltsamerweise tatsächlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem chilenischen Diktator Pinochet, deswegen Pinocchio. Wie der alte General trug er für gewöhnlich eine dunkle Sonnenbrille.
Don Alfonso war ein gütiger, gnädiger, älterer Herr, ein exilierter Chilene, der wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte, eine sehr enge Beziehung zum gestürzten Präsidenten Salvador Allende gehabt hatte. Trotz seines fortgeschrittenen Alters war er ein sehr gebildeter und agiler Zeitgenosse, der viele interessante Geschichten zu erzählen hatte.
Ihm verdanke ich es, dass ich als Jugendlicher schon sehr früh einen Bezug zu Literatur und Geschichte entwickelte. Die Freude in unserer kleinen spanischen Gemeinde war groß , als er nach Santiago de Chile zurückkehren durfte und sein langes Exil ein Ende fand. Seine kurzfristige triumphale Rückkehr hatte zur Folge, dass er nicht alle seine Habseligkeiten mitnehmen konnte. So geschah es, dass die große braune Truhe in den Besitz meiner Familie gelangte. Erst im Keller und später dann auf den Dachboden hatte sie seit Mitte der Achtziger Jahre friedlich dahinvegetiert und sich der Aufmerksamkeit der Familie entzogen, gefüllt mit Antiquitäten und alten Manuskripten sollte sie später ihr großes Geheimnis nur zögerlich preisgeben.
Zu meiner Verblüffung befanden sich in der Truhe nicht nur spanische Schriftstücke, sondern auch einige deutschsprachige, und das obwohl dieser Mann kein einziges Wort dieser Sprache beherrschte. Unter diesen Bücher war eines , welches sofort meine ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. Ein rotes Buch mit einem merkwürdigen nicht zu entziffernden Anagramm. Das Schriftstück war dermaßen alt, zerflattert und gelb, dass es kaum noch als Buch zu identifizieren war. Der Einband in einem leuchtenden Rot war von einer atemberaubenden Schönheit. Ein „eyecatcher“ wie wir es in der heutigen Zeit der florierenden Anglizismen bezeichnen würden.
Ein Buch, dass sich aus der Masse hervorhob und einem sofort ins Auge fiel. Auf Seiden ähnlichem Papier mit rotem Hintergrund las ich in goldenen Lettern den Titel: die Rote Bibel“. „Ui, ganz nach meinem Geschmack, wie für mich geschaffen!“, dachte ich, lebte meine Wenigkeit doch nach der Devise „Links sein, heißt frei sein!“ Hatte das Universum mir ein Zeichen gesendet? Eine Botschaft deren exakten Inhalt ich noch nicht vollständig verstand.
Die große braune Truhe sollte sich in ganzer Linie als Glückstreffer entpuppen, gefüllt mit wertvollen Antiquitäten war sie wahrlich ein Zeichen und ein willkommener Geldsegen, der mir in der Zeit des Umzuges sehr gelegen kam. So konnte ich die Einrichtung meiner neuen Wohnung etwas luxuriöser gestalten. Selbstverständlich erzählte ich niemandem in der Familie von meinem Pfund. Sonst hätte ich womöglich noch Teilen müssen, denn was Mama in Spanien nicht weiß, macht sie nicht heiß!
Abgesehen von den Büchern und Schriftstücken zu denen ich schon eine sentimentale Beziehung entwickelt hatte, was deren Veräußerung unmöglich machte, verkaufte ich die gesamte Truhe und den Inhalt an den erstbesten Antiquitätenhändler. Zeit hatte ich keine um noch Vergleichsangebote einzuholen, denn die Arbeit wartete ungeduldig auf mich; aber zu viel Habgier verdirbt ja bekanntermaßen den Charakter!
Die weitere Entrümpelung ging nach der Aufregung um die Truhe entspannter von dannen. Außer den Büchern war noch jede Menge anderer Kram unter dem alten Zeug, die Überreste einer großen Familie. Von alten Autobatterien bis zu einer nicht mehr funktionierenden Kettensäge. Zu guter Letzt musste auch noch der Sperrmüll zur Entsorgung bestellt werden. Die schiere Menge an Sperrmüll, die sich dann anschließend draußen im Hof befand war immens. Ich war sprachlos - es gehört schon Einiges dazu, dass einem so eloquenten Mann wie mir, die Worte fehlen!
In meinem neuen Viertel, wo ich jetzt wohne, in Ricklingen, würde von einem solch riesigen Haufen am nächsten Morgen die Hälfte auf wundersame Weise abhanden gekommen sein. Eine Armee an Sperrmüllsammlern die begierig die Straßen nach Verwertbarem durchforsten, geben dort dem Begriff Armut eine ganz neue Dimension.
Den Keller und Dachboden besenrein zu bekommen, stellte eine der schwierigsten Aufgaben meines Leben dar. Ich bewerkstelligte sie, perfektionistisch wie ich bin, zur vollsten Zufriedenheit der Wohnungsbaugenossenschaft, so dass die Kaution und Rücklagen, die wir bei Genossenschaft hatten, voll ausgezahlt wurden. Eine Summe, die die ich nach dem Wunsch meiner werten Mutter, in meine neue Wohnung investieren durfte.
Laufe ich durch meine abgezahlte und modernisierte kleine Wohnung und begutachte die neue Heizung und den hochwertigen Parkettboden mit Fußbodenheizung, so weiß ich sicher, dass ich mir alles im Schweiße meines Angesichts erarbeitet habe. Unabhängig davon was Querulanten und Lebenskünstler regelmäßig von sich geben, werden harte Arbeit und Fleiß auch in diesem Land immer noch belohnt. Das Universum findet immer einen Weg dir einen gerechten Lohn zukommen zu lassen!
Kapitel 2
Ein „Kulturrassist“ ist eine Person der von der Überlegenheit seiner eigenen Kultur überzeugt ist. Im begrenzten Masse ist jeder Patriot ein solcher, aber erst die Dosis definiert krankhaftes, pathologisches verhalten. Wie so manches Gift, welches in geringer Menge heilsame Wirkung hat, ist hier ein übermäßige Dosierung toxisch.
Ich bin ein solcher „Kulturrassist“. Meine Wenigkeit ist aufgrund des hohen Bildungsstandes so sehr von seiner eigenen Kultur überzeugt, dass ich andere abwertete. Hass kann eine sehr starke Emotion sein, ein mächtiger Verbündeter, der dir Kraft gibt und Selbstbewusstsein, dich an deinen falschen Überzeugungen bindet und dich blind und unzugänglich macht für logische Argumente . Wann bin ich zu diesem Unmensch mit so grundsätzlichen Vorurteilen geworden, ich weiss es nicht mehr so genau, lasst mich genauer nachdenken. Es geschah in meiner Jugend, noch nicht in der Schulzeit, die war glücklich und frei von Vorurteilen, aber nicht so meine Studienzeit. Ja hier wird es gewesen sein während des Studiums, an einen Ort in Niedersachsen an dessen Namen ich mich nicht mehr zu erinnern vermag.
Es geschah irgendwo in Deutschland in den 90er Jahren an einer renommierten, anerkannten, staatlichen Universität. Bevor ich das studiert habe, was ich erfolgreich und mit Enthusiasmus und Spaß beendet habe, versuchte ich mich in einem anderem Fach zu dem die sogenannten Experten, aufgrund der exzellenten Zukunftsaussichten, damals rieten. Die Rede ist hier von den Ingenieurwissenschaften genauer genommen dem Fach Bauingenieurwesen. Ja ich gehöre zu denen, die ein Studium begonnen haben, es sechs Semester studierten, und dann abbrachen, um etwas anderes zu studieren. Aber das ist eine andere Geschichte, die an einem anderem Tag erzählt werden wird!
Das Bauingenieurwesenstudium ist ein langweiliges und wenig praxisorientiertes, keine Baustellen oder Brücken, die einer besichtigen muss, um die Kraft und Macht zu erkennen , die ein Ingenieur haben sollte. Statt dessen trockene, einschläfernde, geistlose Theorie: Mechanik, Statik, Bauzeichnen, Baustoffkunde, Mathematik etc. Bereits das Auflisten dieser Fächer hinterlässt einen einschläfernden Eindruck und langweilt.
Ich war mit meinen 19 Jahren noch grün hinter den Ohren und idealistisch, bereit die Welt, um mich herum zu erobern, so sollte Man“n“ in dem Alter sicher sein! Zu meinen Leidwesen war ich, aber auch unheimlich faul und undiszipliniert für ein solches anspruchsvolles Studium. So schummelte ich mich, wie all zu oft in meinem Leben, durch und bestand die ersten Prüfungen mit ach und Krach. Was soll es, dachte ich mir, Vier gewinnt und versuchte es weiter.
Eine der vielen schriftlichen Examina, die ich knapp nicht bestand, war die in Statik. Vor die Wahl gestellt die ganze Prüfung zu wiederholen oder mich einer zusätzlichen Mündlichen zu stellen, entschied ich mich für letzteres. Brauchte ich doch nur eine 3.2, um die ganze Prüfung, als bestanden anerkannt zu bekommen. Über Noten machte sich einer damals keine Sorgen, Hauptsache bestanden. Der Tag der Prüfung näherte sich und „lernen“ war für mich ein Fremdwort. In der freudigen Erwartung, dass ich für diese Note nicht viel lernen müsse, um zu bestehen, stellte ich mich mich der mündlichen Prüfung mit der Überzeugung, dass das Universum mir folgen wird, wenn ich den Sieg im Herzen trage. Ich weiß nicht woher, aber ich wusste, dass ich bestehen würde. So stellte ich mich der Herausforderung ohne Vorbereitung aber optimistisch und mutig, wie ein Matador der in die Arena geleitet wird, denn den Mutigen gehört die Welt. Was mich dann in der Prüfung erwartete überraschte mich!
Es war ein Gruppenexamen zusammen mit vier Anderen, stellte ich mich den Statikprofessor. Ein Prüfer, der mir vorher nur durch seine unbedachten Äußerungen über Architekten in den Vorlesungen aufgefallen war. Es war ein älterer, reifer Herr, so um die fünfzig sehr gepflegt und konservativ wirkend, immer humorvoll und schlagfertig. Das Konservative sollte sich bei ihm nicht nur bestätigen, sondern sich als eine tiefe rassistische Grundüberzeugung manifestieren, die mir in diesem Fall zu Gute kam, mir aber die Augen öffnete, in was für einem Land ich lebe.
In der Stadt, in der ich studierte, irgendwo in Deutschland genauer genommen in Norddeutschland gab es sehr viele afrikanische und asiatische Studenten, die mit Stipendien hier her kamen, um sich den Ingenieurwissenschaften zu widmen. Sie waren uns, was ihr Fachwissen angeht bei Weitem überlegen, waren es doch Elitestudenten, die her gesandt wurden, um die berühmte deutsche Ingenieurskunst zu erlernen und dann irgendwann in ihr Herkunftsland zurückzukehren, und das erlernte „Know How“ so zu exportieren. Einer Art Entwicklungshilfe, die bis heute geleistet wird, aber oft daran scheitert, dass die fertigen Akademiker , also Ärzte, Ingenieure, Architekten oder Maschinenbauer gar nicht in hier Herkunftsland zurückzukehren wollen.
Aber ich schweife ab und entferne mich vom Wesentlichen. Diese Studenten aus fernen Lande schienen nicht nur sehr klug und exotisch sondern, fielen auch durch ihre oft begrenzten Deutschkenntnisse auf. Also um es deutlicher und weniger politisch korrekt auszudrücken, sie sprachen alle nur sehr gebrochen Deutsch und erhielten von dem Professor auch ein entsprechende Behandlung.
Der Professor sprach Sie ebenfalls in gebrochenen Deutsch an. Ich weiß nicht, ob es eine Bezeichnung gibt für das „Deutsch“, das einige mit Ausländern sprechen, wenn sie merken , dass deren Deutschkenntnisse begrenzt sind, ich werde es hier in meiner künstlerischen Freiheit „Deutschkanakisch“ nennen. Der Professor sprach auf jeden Fall so mit ihnen in „Deutschkanakisch“.
Anders als meine Wenigkeit waren diese Kommilitonen nicht nur interessiert daran zu bestehen, nein sie machten diese Prüfung teilweise sogar freiwillig, um ihre Note zu verbessern. Streber würde ein einfacher Mensch denken, nein einfach nur Elitestudenten, die von Weit herkamen um sich weiterzubilden. In Ihrer Denkweise schuldeten Sie es Ihrem Herkunftsland, die bestmögliche Note zu erlangen. Da saß ich nun, als einziger Weißer in ein mündlichen Prüfung mit drei Afrikanern und einen Asiaten, die mir in ihrem Fachwissen weit überlegen waren. Trotzdem saßen wir alle im selben Boot und waren den Launen des Prüfers ausgeliefert. Lieber Leser ich hoffe Sie erkennen die Ironie und den Witz dieser Situation, wenn Sie sich das Bild der Prüfung vor Ihrem Geistigen Auge führen!
Ohne viel Fachwissen, aber mit korrektem, akzentfreien und fliesendem Deutsch versuchte ich mich während der ganzen Prüfungsstunde hervorzutun. Eloquent, wie ich bin, dachte ich, wenigstens in dieser Hinsicht punkten zu können, der Professor sprach mit mir in „Normaldeutsch“. Bei fünf Prüflingen in 45 Minuten bleiben für einen Einzelnen nur wenige Fragen, maximal zwei bis drei Fragen pro Kandidat, um sein Wissen unter Beweis zu stellen. Als die Reihe an mir war zu antworten, stellte mir der Professor mehrere Fragen und dann schließlich eine über Auflagerkräfte. Es war eine 50 zu 50 Frage und ich ratete richtig! Selbstsicher und arrogant wie ich oft wirke, wusste ich am Blick des Professors, dass ich richtig geraten hatte. Dann fragte er mich noch warum, ich wusste es nicht, hatte ich doch vorher nur geraten, deshalb schwieg ich einfach. Ich versuchte mich nicht rauszureden, und irgendetwas zu erzählen, hielt einfach meinen Mund, denn in einen geschlossenen Mund kommen keine Fliegen. Manchmal ist Schweigen einfach Gold! Dumm muss ich wohl ausgesehen haben, als ob ich nicht verstehen würde, was er von mir will, aber ich hatte einfach keine Ahnung und hielt den Mund. Weiter ging die Prüfung mit den Anderen und war dann auch schnell vorbei. Obwohl es einem damals wie eine halbe Ewigkeit vorkam, als ob sich die Zeit dehnen würde und nie enden wird. Jeder fragte sich, kommt er noch einmal dran, aber das war es dann auch gewesen.
Als es dann daran ging zu zensieren, nahm sich der Prüfer einige Minute, schickte uns aber nicht raus, sondern lies uns dort sitzen. Ging die Liste mit den Namen durch und schaute jeden einzelnen streng und tief in die Augen, als es dann an mir war, betrachte der Professor meinen Namen, der ausländisch und spanisch war, überlegte und sagte:
„Achso, Sie sind auch nicht von hier, woher kommen Sie denn?“ „Ich komme aus Spanien.“ antwortete ich kurz und prägnant. „ Das werde ich beim Zensieren natürlich berücksichtigen, ich dachte wenigstens Sie würden mich richtig verstehen.“
Ich sagte wieder Nichst, lächelte nur, klärte ihn aber nicht auf, dass ich Bildungsinländer sei und hier aufgewachsen bin und ihn perfekt verstand, zumindest sprachlich.
Sicher bin ich in meinem Leben vieles gewesen dick, langsam, stolz, arrogant und manchmal sogar besserwisserisch, aber nie Dumm. Nein, dass bin ich nicht. So schwieg ich auch weiter, und hatte nicht die Zivilcourage den Prüfer die volle Wahrheit zu erzählen. Denn diese hängt oft vom Auge des Betrachters ab, hatte ich ja nicht gelogen, ich bin und werde es immer sein: Spanier. Warum sollte ich nicht von der rassistischen Arroganz eines alten Mannes profitieren, oft wird einer als jemand mit Migrationshintergrund benachteiligt, warum nicht einmal Vorteile davon haben. Ich war glücklich in dieser Situation. Aber ich glaube nicht an das Glück. Es gibt dir keiner Glück, das musst du dir immer selber nehmen! Und das tat ich in diesem Moment und bestand mit 2.3. Ich war happy bestanden zu haben und lästerte mit den anderen Prüflingen noch kräftig über den Professor.
Auch aus meiner jetzigen Perspektive über zwei Jahrzehnte später, erscheint mir dieser Augenblick der Prüfung, als ob er gerade eben passieren würde. Ich sehe die Gesichter der Kommilitonen vor mir, den Prüfer mit seinen beschränkten Geist und alles erscheint mir so surreal, als ob es aus einem absurden Theaterstück entnommen worden sei. Was müssen erst die Afrikaner, die über einen messerscharfen Intellekt verfügten, empfunden haben? Damals hatte ich eine sehr naive Sichtweise auf die Gesellschaft, glaubte an das Gute in dem Menschen und in der Gesellschaft, wollte mir nicht eingestehen, was ich gesehen hatte. Ungewollt hatte mir dieser verrückte Professor einen Augenblick absoluter Klarheit verschaft. In dem du für den Bruchteil einer Sekunde im Dunkel sehen kannst erlangst du einen Moment der vollkommenen Klarheit, wie dir das Universum nur sehr wenige schenkt. Ich sah unsere Gesellschaft mit all ihren Vorurteilen, wie sie wirklich ist! Hitlers Kinder hatten sich mir offenbart und sich mir gezeigt. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Sie sich mir zeigen! Die seelenlosen Lakaien der Orthodoxie sollten zurückzukehren. Ganz kurz hatte ich das Licht gesehen, ich konnte es nicht länger ignorieren und eine rosarote Brille aufsetzen, diese Erfahrung hatte mich geprägt.
Ich schuldete es der Stadt und dem Gemeinwohl etwas zu unternehmen, konnte es nicht hinnehmen, dass die Sachen sind, wie sie sind! Ich war ja hier geboren und aufgewachsen, hatte mich immer, als Teil dieser Gesellschaft empfunden. Es konnte nicht sein, was ich gesehen hatte, dass Rassismus und Vorurteile so tief gehen! Kaum vorzustellen das ich mich in Mitteleuropa in Deutschland ein paar Jahre vor dem Beginn des 21. Jahrhunderts befand. Ist es möglich, dass das hier und diesem Land mit dieser Geschichte geschieht. Wo war ich? Wo ist das geschehen? Es geschah irgendwo in Deutschland...
Von diesem Tag an war ich besessen vom rassistischen Wesen der Deutschen, sah überall Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Wenn einer voller Misstrauen und Argwohn durch die Welt geht ist es nur eine frage der Zeit bis dieses auch bestätigt wird. Das Böse lauert überall und will entdeckt werden.
Kapitel 3
Es war kalt, aber die Kälte war nicht nur draußen, sondern auch in unseren Herzen. Ich fuhr, wie gewöhnlich nach hause, obwohl nicht mehr in der List wohnend, verbrachte ich immer noch sehr viel Zeit dort. Hatte mich an mein neues Viertel in Ricklingen noch nicht adaptiert. Ich vermisste meine alte Wohnung, meine alte Umgebung, die Spontanität. Die Möglichkeit schnell und unkompliziert Freunde zu treffen und mein altes Viertel: die List fehlten mir so sehr. Die langen Spaziergänge in der Lister Meile und die kurzen spontanen Zigaretten im Vahrenwalder Park gehörten jetzt der Vergangenheit an. Kaum zu glauben, dass einer so stark an seiner gewohnten Umgebung hängen kann! Alles fehlte mir insbesondere meine alte Wohnung, die um einiges größer war, jeder einzelne Quadratmeter weniger war eine unerträgliche Pein in meiner Seele, selbst der Schimmel besagter Altbauwohnung sorgte auf einer sehr merkwürdigen Ebene für latente Entzugserscheinungen.
Wenn einer für lange Zeit an einen Ort verbleibt, lässt er etwas von sich dort für immer zurück. Es ist als ob man mit Objekten und Orten auf eine mysteriöse Weise verbunden wäre. Ich bin mir sicher, dass in meiner alten Wohnung die ich 33 Jahre bewohnte, meine Präsenz noch spürbar ist, schaut einer dort in die Ecken einer der Räume und geht den sehr langen geräumigen Flur entlang kann er, wenn er sich nur konzentriert meine Präsenz spüren, es ist wie ein Schatten den einer zurücklässt ein Echo seiner selbst, der bis ans Ende der zeit dort verbleibt oder nur bis die Erinnerung, der Vergessenheit anheim fällt.
Hätte ich in der Zeit des Umzuges und Einlebens im neuem Viertel nicht einem meiner besten Freunde Sebastian zur Seite gehabt, wäre Alles noch wesentlich schwieriger gewesen. Basti half mir mich einzuleben und zeigte mir das die Gegend in die ich gezogen war auch ihren ganz eigenen Charme hatte.
Sebastian war das Computergenie unter uns. Bereits in den 80er Jahren programmierte er auf seinen Commodore C64 komplexe Programme in rudimentären Basic. Es gab keinen Computertrend den er nicht mitmachte und über den er nicht Bescheid wusste. Ob die ersten aufkommenden Prozessoren der Marke mit dem „P“, das mittlerweile marktdomierende „Fensterbetriebssystem“ oder die bekannte Marke mit den abgebissenen Apfel. Ob Smartphone, PC , Notebook oder Tablet, er konfigurierte dir alles. Wenn du einen neuen Router hattest und dieser nicht so wollte wie du es gerne hättest? Wenn hast du dann gerufen? Sebastian, natürlich, sein Wissen und sein Talent, was Technik und Computer betrifft, war legendär.
Als jemand der beruflich selber mit Computer zu tun hat, gebe ich es ja ungern zu, aber, er wusste definitiv mehr als ich und er lies dich an seinem Wissen teilhaben. Konnte dich mit seiner Begeisterung für einfache Dinge anstecken und mehrte so dein Wissen um einiges. In einer anderen Realität wäre er bestimmt ein zweiter Bill Gates oder Steve Jobs geworden. Aber aus Menschen unserer Klasse und Herkunft kann in diesem Land Nichts werden, denn wir leben ja in einem modernen „Apartheidsstaat“! Wie seine Mutter nannte ich Sebastian bei seinem vollem Namen, nicht „Basti“ wie ihn alle nannten. Ich kannte ihn seit der Grundschule, deswegen nahm ich mir dieses Privileg heraus.
So groß wie sein Talent war auch seine Hilfsbereitschaft. Er war der am meisten unterschätzte unter uns vier, klein und unauffällig aber auf seine weise genial. Denn vier Freunde waren wir. Ali, Theo, Sebastian und ich. Ein Türke, ein Grieche, ein Spanier und ein Deutscher, unzertrennlich in unseren besten Zeiten und auch gefürchtet in unserem Viertel.
Manchmal wünsche ich mir, ich hätte Sebastians Stärke seinen Mut, seinen Idealismus für das einzustehen voran man glaubt. Denke ich ich heute mit meinen reifen 42 Jahren zurück an Sebastian, bin ich sehr traurig, den Tränen nahe, aber gleichzeitig auch Stolz und voller Bewunderung. Mir ist dann immer so, als würde ich seine beruhigende flüsternde Stimme hören, die mir sagt: „Never change a running system !“oder eine seiner gefürchteten Hasstiraden gegen Polizisten. Ja, er hasste die Polizei mit jeder Faser seines Körpers. Er hatte eine natürliche Abneigung gegen die Männer in grün. Damals war die Polizei in Niedersachsen noch in ihrer alten bewerten Uniform, grün statt blau. Seine Aversion gegen die Ordnungskräfte ist auch einer der Gründe warum er, obwohl er Deutscher war, trotzdem zu uns drei sehr gut passte. Er war das Bindeglied zwischen uns vier, der der mehr als nur einfache Freunde aus uns machte, wir waren Brüder - im Geiste Verwandte - die in ihrem Hass und Abscheu gegenüber dem System vereint waren. Denn die die über die Wahrheit bescheid wissen, sind mehr als Freunde: sie sind Brüder!
Wie jener famose Ritter aus la Mancha der durch die intensive Lektüre von Ritterromanen eine leichte Faszination für Windmühlen entwickelte, bewirkte intensive Beschallung und die Lektüre von Rapsongs bei Sebastian eine innere Rebellion gegen das System, die sich in einer ausgeprägten Abneigung gegen Polizisten manifestierte! Woher seine „Polizistenliebe“ wirklich herrührt sollte ich erst viel später herausfinden.
Wenn einmal -hoffentlich in sehr ferner Zukunft- mein Lebenslicht erlischt, und das Universum mich zu sich ruft, um mich und meine unsterbliche Seele dem großen materiellen Kontinuum zuzuführen, hoffe ich einen so glorreichen und mutigen Tod wie Sebastian zu haben! Denn er hatte einen ruhmreichen Tod. Ein letzter großer Auftritt, wie er nur wenigen zu teil wird und wer mich gut kennt, weiß, dass ich ein Schwäche für große Auftritte habe! Aber die Geschichte seines Ablebens ist ein andere, die an einem anderem Tag erzählt werden wird.
Während meines Umzuges und der Renovierung meiner neuen Wohnung weilte Sebastian noch unter uns; er war sogar quicklebendig in der Blüte seines Lebens mit seinen 32 Jahren. Wie ich ein erlesener 74er so Jahrgang. Wir hatten noch keine Ahnung wie groß sein Talent, was Computer und Programmieren angeht war, wussten nicht, dass er insgeheim einer der bekanntesten Hacker Deutschlands war und eine wichtige Rolle in der aufkommenden „Anonymousbewegung“ inne hatte. Wir sollten es aber sehr bald rausfinden...
Sebastian war ein Einzelkind, ein deutscher mit polnischen Wurzeln, der gerne Geschwister gehabt hätte, aber man will ja immer, was man nicht hat. Das ist auch einer der Gründe warum er so häufig bei mir zu Gast war. Während ich über das laute nervige Geschreie meiner lieben Mutter und die regelmäßigen Streitereien mit meinen Geschwistern erzürnt war, genoss er diese Augenblicke. Wie ein Außerirdischer, der neugierig die neue Spezies Mensch erforscht, beobachtete er mit viel Interesse und Neugier meine große komplexe Familie.
Seine alleinerziehende Mutter hatte immer alle Mühe seinen kostspieligen Computerkapriolen nachzukommen, aber als Einzelkind kam er immer auf seine kosten! Einer der Gründe warum ich so gerne mit ihm meine wertvolle Zeit verbrachte war dass er nicht nur sympathisch und unterhaltsam – einfach einer der liebsten Menschen der Welt war, sondern er einfach Alles hatte. Alles außer genug Liebe.
Seine Mutter die neben ihrer anstrengenden Schicht - und Akkordarbeit in einer Fabrik auch noch als Reinigungskraft nebenbei tätig war, konnte ihrem Sohn nicht genug Zeit widmen. Dabei war gerade er ein Kind dass viel Aufmerksamkeit bedurft hätte. Die Folge war ein schüchterner zurückhaltender junger Mann , der nur sehr spät zu sich selber fand. Als Dankeschön dafür dass Sebastian sehr oft bei uns zu hause zu Gast war und meine Eltern auch auf ihn aufpassten, hütete seine Mutter zwei mal die Woche mich und meine kleine Schwester. Ich fand das immer wunderbar und aufregend, so war ich im Stande noch mehr Zeit mit einem meiner besten Freunde zu verbringen. Sebastians Mutter genoss diese Augenblicke ebenfalls, obwohl sie dass natürlich nicht zugab. So konnte sie meiner kleinen niedlichen Schwester die Haare bürsten, und für kurze Zeit fühlen wie es wäre eine Tochter zu haben. Während meine Eltern ihren wöchentlichen Kartenspielabend genossen und uns in der Obhut Elsiabetas ließen, war ich im Stand mit Sebastian neue Streiche auszuhecken.
Zwei Dinge sind Spaniern neben ihren zahlreichen Schutzheiligen und Jungfrauen wichtig, das ist einmal der Fußball und außerdem auch noch das Kartenspielen. Bei den vielen Heiligen und Jungfrauen, die es in meinem Land gibt, ist es ein Wunder, das dort noch genug Kinder zur Welt kommen und es überhaupt noch Einwohner gibt. Meine Großmutter in Valencia, sie ruhe in Frieden, ist mit 97 Jahren noch zwei mal wöchentlich Kartenspielen gewesen. Meine Eltern waren in dieser Beziehung, obwohl sie nicht sehr gesellige Menschen waren, nicht anders. Jeweils Donnerstags und Samstags machten sie sich auf den weg nach Linden dem spanischen Viertel dieser wunderbaren Stadt. Dort frönten sie fleisig nach Geschlechtern getrennt ihrer Spielleidenschaft und brachten sich auf den neuesten Stand, was Klatsch und Tratsch in unserer kleinen spanischen Kolonie. Je nach der Laune meines Vaters, konnte ich am nächsten Tag erraten ob er an diesem Tag eine Glückssträhne gehabt hatte. Das war dann immer einer der Momente in denen ich bei meinem Vater etwas erreichen konnte, sei es auch nur eine kleine Erweiterung meines Taschengeldes. Sonst war natürlich für mich als guter Sohn immer meine Mutter meine erste Anlaufstation.
Obwohl Sebastian ein hartes und graues Wesen zu haben schien, hatte er auch ein weiche sanftmütige ernsthafte Seite an sich, die nur wenige kannten. Gutmütigkeit ist wohl etwas an das man nicht jeden teilhaben lässt! Er war derjenige, der herausfand, dass ich in Ricklingen nur acht Minuten vom Maschsee entfernt wohnte, ein Erkenntnis, die uns tägliche Spaziergänge bescherte und mir die Erleuchtung, das jedes Viertel in dieser großartigen Stadt etwas Besonderes ist.
Der Maschsee ist ein künstlich angelegter See mit 7,2 km Umfang ein beliebtes Ausflugsziel und die schönste Jogging-strecke der Welt! Da immer wieder gerade von älteren Menschen die Behauptung aufgestellt wird, dass Adolf Hiltler diesen See erbauen lies, sollte hier einmal richtig gestellt werden, dass die Planung dieses Gewässers bereits aus Zeiten der Weimarer Republik stammte. Der faschistische Diktator beendete den Bau nur und gefiel sich nur wie jeder Despot in Rolle des edlen Spenders und Arbeitsbeschaffer. Alle Jahre wieder, wenn es kalt und gemütlich wird und der Winter naht, es zu frieren beginnt, stellt sich mir die selbe frage. Wird der Maschsee dieses Jahr gefrieren? Wird die Eisdecke die nötige dicke erreichen auf das die Behörden den See zu Begehung und zum Schlittschuh-fahren freigeben?
Die nähe zum See lies mein neues Viertel in meiner Wertschätzung um einiges steigen. Aber erst die letzte Lieferung einiger meiner neuen Designermöbel, bewirkte, dass ich definitiv realisierte, dass ein neuer Lebensabschnitt für mich begann, ein Wendepunkt in meinem Leben. Die Entfernung zu List betrug mit der Straßenbahn nur zehn Minuten, ich war also in Reichweite meiner freunde und nicht, wie ich befürchtete aus dem Auge und aus dem Sinn.
Kapitel 4
Es war das Jahr des
Sterns. Zehn Jahre nach dem für die Jahrtausendwende angekündigten
Weltuntergang und zwei vor dem von den Mayas für das Jahr 2012
prophezeiten. Beide fanden natürlich nicht statt! Solche
abergläubischen Prophezeiungen haben immer nur den Zweck zur
Kontrolle, der kleine Mann soll über gewöhnliche Angst gefügig
gemacht werden. Aber nicht die Sterne am Firmament sind hier die
relevanten, sondern der der auf dem spanischen Nationaltrikot
erstrahlt.
Es war ein Jahr
unendlicher Freude für jeden Spanier auf der Welt. Spanien wurde
Fußballweltmeister, endlich, es ist als, ob ich mein ganzes Leben
auf diesen Moment gewartet hätte und nicht einmal in meinen kühnsten
Träumen hätte ich gedacht, ihn zu erleben. Doch ich war dabei und
wurde Zeuge, zwar nur mit den Augen auf den Bildschirm, aber dennoch
live und direkt. Vom Spiel habe ich am jenem Tag nur sehr wenig
mitbekommen, denn es war ein Tag zum feiern.
Als wir im
Vahrenwalder Park auf das neue Jahr anstießen und uns der üblichen
Feuerwerkskörper entledigten, wussten wir noch nicht welche tolles
Jahr es werden sollte. Vielleicht lag es an der außergewöhnlich
hohen Anzahl an Knallkörpern, die wir dieses Jahr zündeten, dass es
so ein wundervolles wurde. Wir, das sind meine drei Freunde Theodoro
(Theo), Ali , Sebastian (Basti) und ich.
Theo war der
Prototyp des modernen Metrosexuellen. Ein stolzer und drahtiger
Grieche, der wann immer er konnte darauf hinwies, dass sein Volk es
war welches der Welt in der Antike die Philosophie und Mathematik
geschenkt habe. Bereits Ende der Achtziger Jahre, als noch keiner
David Beckham kannte und Christiano Ronaldo noch in den Windeln lag,
lebte er uns vor, was ein gepflegter gut aussehender Mann zu tun hat,
um so noch hübscher und attraktiver zu wirken. Heutzutage würde
jeder denken Theo sei vom Anderem Ufer, aber das war nicht Fall, eher
das Gegenteil. Bereits mit Vierzehn als wir anderen noch fleißig mit
Lego und Playmobil spielten war Theo schon am kopulieren. Er war ein
Frauenheld ohne gleichen. Eine schlichte Eleganz, die er auch aus
beruflichen Gründen, an den Tag legte, er war Bankkaufmann, sorgte
dafür, dass ihm alle Frauen zu Füssen lagen. Ob Brünette, Blond
oder Rothaarig, keine war vor ihm sicher, er hatte sie alle. Die
Frauen liebten Theo und er mochte die Frauen bedingungslos.
Er war schon immer
unserer Modeberater, unsere kleine „fashionqueen“. Wenn wir eine
Jeans brauchten und in die Stadt fuhren, um uns eine zu kaufen, dann
nahmen wir Theo mit. Er wusste alles über Mode und half dir die
perfekte Hose für dich zu finden, und konnte dir dir dann auch genau
mitteilen wo du sie am günstigsten erwerben konntest. Sogar bei der
Wahl der passenden Unterhose, die den Schnitt dieser oder jener Jeans
betonte half er dir. Mode und Theo das gehörte immer unzertrennlich
zusammen. Jeden Trend kannte er und wusste Unmengen darüber zu
erzählen. Als die neuen Drogerieketten aufkamen und populär wurden,
konnte er dir ganze Vorträge darüber halten welche Creme oder
Haarfesttiger die erwarteten Effekte hatten. Seine Expertise war
immer kompetent und fundiert.
Mit ihm feierte ich
im Jahr 2010 Spaniens ersten WM Titel. Das war kein Zufall den
bereits vor 6 Jahren 2004 hatte ich mit ihm den
Europameisterschaftstitel Griechenlands zelebriert. Nur dass diesmal
nicht Ouzo, sonder Sangria das Getränk des Abends war. Und der Held
des Tages nicht Otto Rehhagel sondern Andres Iniesta hieß.
Theo war ein gut
aussehender Mann, er war von einer atemberaubenden Ästhetik, als ob
ihn eine Aura des Schönen und Einzigartigen umgeben würde, ich weiß
nicht von welcher Göttin er abstammen musste, aber es sollte wohl
als guter Grieche Venus oder Aphrodite höchstpersönlich sein. Wo er
auch hinkam drehten sich alle nach ihm um, mit ihm eine Kneipe oder
ein Café zu betreten war immer ein Vergnügen, den mit ihm warst du
für ein paar Sekunden der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit. Gerne
bildete ich mir natürlich immer ein, ich sei es auf den alle starren
würden. Aber dem war leider nicht so.
Umgibst du dich mit
hübschen Menschen, färbt etwas von ihrem Glanz und ihrer Schönheit
auch auf dich ab. Wie bei den Reichen und Berühmten, die sich nur
untereinander sozialisieren. So erscheint es uns gewöhnlich
sterblichen, in Wirklichkeit ist es nur so, dass die „nomalos“ in
Begleitung auch wichtiger wirken, als sie sind. Sie sonnen sich in
deren Glanz und werden selbst Teil von etwas Besonderem. So war es
bei uns auch immer, allein durch seine Gesellschaft stieg unsere
Beliebtheitskurve drastisch.
Seit wir klein
waren, wussten wir von Theos Wirkung auf seine Umgebung, er war das
schöne Gesicht, dass wir oft vor schickten um zu erreichen, was wir
wollten. Gerade Sebastian und ich die rein Äußerlich nur guter
Durchschnitt sind, profitierten oft davon. Wer mich gut kennt weiß,
dass Bescheidenheit kein charakterbildendes Wesensmerkmal meiner
Existenz ist. Viele Frauen wussten, dass nicht alle Theo haben
konnten und so gaben sich einige auch mit der weniger attraktiven
Alternative zufrieden. Das freute uns um so mehr! So wuchsen wir auf
und wurden, wie es sich für Südländer gehört zu chauvinistischen
Machos.
So hübsch Theo auch
war, oder besser genauer gesagt ist, so oberflächlich ist er auch!
Er war und ist gefangen in einer kostspieligen materialistischen Welt
voller Marken und belanglosen Äußerlichkeiten, aus der er leider
nur zu selten herausbricht. Er ist der oberflächlichste Mensch den
ich jemals kennengelernt habe. Etwas was nicht immer als ein Nachteil
ausgelegt werden sollte, denn er spricht wie ein Kind oftmals
belanglose Äußerlichkeiten deutlich aus und bringt sie in seiner
ihm eigenen Art auf den Punkt. Ja er hat eine sehr pragmatische
Sichtweise auf die Welt. Seine impertinenten vulgären Bemerkungen
entpuppen sich des öfteren als treffende Charakterisierungen, er
ruft das Kind beim Namen und schert sich wenig um politische
Korrektheit. Ja er ist, wenn man es zugespitzt ausdrückt, der mutige
der die Wahrheit anspricht und jede Wahrheit braucht ja
bekanntermaßen einen waghalsigen, der sie in Worte fasst. Eine
überdurchschnittlich lange Nase, ein abartige Frisur oder einfach
nur altmodische Kleidung sind Wahrheiten die einer einmal deutlich
aussprechen sollte. Ich war schon immer der Meinung das hässliche
Menschen einfach nur unsympathisch und wenig vertrauenswürdig sind.
Das spanische
Viertel war auf die Feierlichkeiten des überragenden WM Triumphs gut
vorbereitet, mit deutscher Präzision und Gründlichkeit wurden sogar
die Polizisten die dieses Ereignis überwachten in Reihe und Glied
aufgestellt. Obwohl Spanien Deutschland im Halbfinale besiegt hatte,
erwiesen sich die Deutschen als sehr fairer Verlierer und feierten
hier in dieser wunderbaren einzigartigen Stadt im spanischen Viertel
mit uns den Sieg über die Niederländer.
Es wurde ein schöner
Tag, der schönste in meinem Leben! Es mag armselig und banal wirken
eine solche Behauptung aufzustellen, da einer sich da doch eher einen
persönlicheren, privateren Tag vorzustellen vermag, wie zum Beispiel
die Hochzeit oder die Geburt des ersten Kindes. Aber wenn einer aus
so einer fußballbegeisterten Familie kommt, in der man diesen Sport
bereits mit der Muttermilch aufgesogen hat, dann ist ein solche
Feststellung durchaus berechtigt.
Die einst blühende
spanische Gemeinde in dieser Stadt war zwar zu überschaubarer Größe
geschrumpft, aber immer noch präsent und hörbar, wenn Spanier etwas
gut können, dann ist es feiern. An jenem Tag traf man alle wieder,
die man so lange nicht gesehen hatte. Alte Bekannte und Weggefährten
vergangener Tage und wir lagen uns am ende alle heulend in den Armen.
Es wurde ein pathetisch emotional völkerverständigendes Fest. Eine
riesige improvisierte Leinwand und genug Alkohol sorgte für
ausgelassene Stimmung und jenes mittlerweile legendäre Tor in der
Verlängerung von Andres Iniesta erlöste uns und nahm alle Spannung
von uns, so dass wir hemmungslos feiern konnten. Die ganze Stadt
befand sich im Ausnahmezustand, obwohl wir über 1500 Kilometer von
meiner geliebten Heimat entfernt waren. Überall auf der Welt
feierten Spanier, wo sie auch waren, als ob sie an einer nicht enden
wollenden Orgie teilnehmen würden. Jeder war außer sich, rot war
die dominierende Farbe. La Roja „die Rote“ hatte gesiegt, diese
Farbe ist wahrlich eine die diese wundervolle Stadt immer zu jeder
Gelegenheit gut kleidet!
Viele Bekannte und
Freunde, die einer so lange nicht gesehen hatte traf man wieder.
Manche Leute, die mich früher nie gegrüßt geschweige den angeguckt
haben, grüßten mich plötzlich und erkundigten sich nach meinen
Wohlbefinden, eine Tatsache die ich dem reich fließendem Alkohol
oder dem sogenannten „Theoeffekt“ zuschreibe.
Sogar die humorlosen
kalten deutschen Polizisten tauten auf und feierten mit. Einer meiner
ganz persönlichen Höhepunkte an diesem Abend war eine Polizistin
die die spanische Fahne küsste und sich ein entsprechendes Trikot
über die Uniform zog, eine freudige Verbrüderungsgeste. Aber bei
genaueren Hinsehen erkannte ich das absurde an dieser eigentlich
wundervollen Situation, es war nicht einfach nur eine einfache
Polizistin, die dieses tat , sondern es war eine spanisch-deutsche
Polizistin, eine Deutsche mit spanischen Migrationshintergrund trug
die wenig ehrenhafte die Uniform eines Kindes. Ich kannte sie von
früher, es war Esmeralda. Ich hatte mit ihr die spanische Schule
besucht!
Jede Zelle meines
Körper sagte mir, dass es falsch war. Wie konnte eine Spanierin ihre
glorreiche ehrenhafte Herkunft verleugnen und aufgeben um Deutsche zu
werden und dann auch noch eine so verhasste Staatsdienerin?
Hierzu muss einer
wissen, dass ich jedem meiner Freunde oder Bekannten, von denen ich
erfahren habe, dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen
haben um des Preises der Aufgabe ihrer Alten, immer mein tiefes auf
aufrichtiges Beileid ausgesprochen habe. Sich einem restriktivem
Staatsbürgerschaftsrecht zu unterwerfen ist in meinen Augen falsch,
eine Todsünde ohne gleichen! Es ist Verrat an deinem Blut deiner
Herkunft, eigentlich sollte jeder der das macht auf der Stelle
hingerichtet werden.
Wie in anderen
Bundesländern gibt es auch Niedersachsen den Versuch Menschen mit
Migrationshintergrund für den Beruf des Polizeibeamten zu gewinnen.
Die staatlichen Sicherheitskräfte möchten so ihre interkulturelle
Kompetenzen stärken und ein Imagegewinn erzielen. Die Polizei soll
so bunter und moderner werden. Misstrauische und vorlaute Menschen
wie ich, sehen darin eher eine Bestätigung des allgemein
verbreitenden Vorurteil, die Polizei sei ausländerfeindlich und
wolle dies nur kaschieren. Mit unkonventionellen Mitteln soll dem
entgegengetreten werden und mit der zunehmenden Beschäftigung von
Polizeibeamten, die selber einen Migrationshintergrund haben, soll
das natürlich absolut unbegründete Vorurteil widerlegt werden. Ein
deutliches Indiz für ein Schuldeingeständnis, wenn es kein solches
Problem geben würde, wäre auch die Notwendigkeit der Einstellung
von solchen Polizisten mit Migrations- hintergrund nicht
erforderlich!
Das die Justiz auf
dem „rechtem Auge“ blind ist, stellt ein allgemein akzeptiertes
Faktum da, nur vielleicht einige CSU Politiker aus dem tiefsten
provinziellen Bayern, die fleißig am rechten Rand um Stimmen werben
und mit ihren Bemerkung dafür sorge tragen das „Rechts“ der CSU
sich keine weitere Partei dort etablieren kann, würden dies nach den
Ereignissen in den letzten Jahren in frage stellen. Das aber auch
Bundeswehr und Polizei von ausländerfeindlichen Elementen durchsetzt
ist neu.
Ich hatte mit der in
meinen Augen lächerlich wirkenden Polizistin die Schulbank gedrückt,
nur das sie jetzt nicht mehr ihre einst so tolle Figur hatte, sondern
altersbedingt ein bisschen in die Breite gegangen war, sie war aber
ehrlich gesagt, immer noch eine atemberaubende attraktive Dame. In
ihrer Jugend war sie eine sehr hübsche und kluge Frau gewesen. Ein
Geist aus der Vergangenheit, der mich einholte. Eine geheimnisvolle
Exotik war von ihren dunklen langen Haar und ihren braunen Augen
ausgegangen. Eine art „Gabriela Sabatini“ oder „Gabriel Solis“
Typ -so würden wir sie heute beschreiben- machten sie unvergesslich
für das Gedächtnis eines pubertierenden 16jährigen. Wie war es
möglich das eine intellektuell so anspruchsvolle Frau diesen Beruf
ergreift?
In meiner
Verärgerung und inneren Aufregung merkte ich nicht, dass auch sie
mich erkannt hatte. Fast stotternd antwortete ich ihr als sie mir auf
spanisch „Hallo!“ zurief und mir damit zu verstehen gab,
dass auch sie mich identifiziert hatte. „Was machst du hier?“
antwortete ich. „Natürlich, Arbeiten!“ war ihre schlichte
und kurze Antwort. Als ob ich sie mich für dumm hielte, denn ihre
Uniform wies deutlich auf ihren Beruf und ihre Tätigkeit hin „Wie
geht es dir so? Lange nicht mehr gesehen.“ fragte ich,
eigentlich nur aus reiner Höflichkeit. Ich hatte jetzt nicht damit
gerechnet, dass mir einen langen Vortrag über ihr Wohlbefinden hält.
Manche Leute wissen einfach nicht, dass man nur aus reiner
Höflichkeit fragt. Ich hoffte nur dass sie meine abwertende Blicke
nicht erkannt hatte oder zumindest nicht so gedeutet habe, denn
manchmal bin ich ich aufgrund meiner nonverbalen Signale, wie ein
offenes Buch. Es war eine merkwürdig abstrakte Begegnung, ein
unverhofftes Wiedersehen, dass das absurde tangierte. Wie gesagt ein
Geist aus der Vergangenheit, der dich überraschenderweise einholt.
Als wir außer Sicht
und Hörweite waren erzählte ich Theo von ihr. „Das ist eine
Landsfrau, die Polizistin.“„Wer die dicke fette?“ War seine
herablassende Frage. „Ja, die etwas korpulentere.“ antwortete
ich lächelnd. „Na, da habt ihr ja Glück, dass sie keine
Spanierin mehr ist“!
Kapitel 5
Kapitel 5
Vier Freunde waren
wir. Wir waren tatsächlich vier an der Zahl. Es lag wohl an dieser
magischen, geraden Ziffer, dass wir unbesiegbar, klug und erfolgreich
schienen. Gerade Zahlen, die durch zwei teilbar sind und sich dadurch
halbieren lassen, haben Symmetrie. Sie strahlen dadurch eine gewisse
Ästhetik aus und Symmetrie bedeutet Schönheit.
Bei Dreien ist immer
einer zu viel und wird zwangsläufig vernachlässigt, nicht so bei
Vieren, das ist die optimale Anzahl. Zwei plus Zwei ist die richtige
Menge, die sehr gute Freunde benötigen, um das zu sein, was wir
waren, nämlich perfekt. Wir waren so nah an der Perfektion wie es
Sterbliche nur sein können, wenn wir zusammen arbeiten, als Team
schaffen wir Alles! Wir ergänzten uns hervorragend. Was der Eine
nicht konnte, schaffte der Andere, wir halfen einander und waren
füreinander da. Jeder Mensch hat ein außergewöhnliches Talent,
etwas das er besser kann, als Andere. Eine Fähigkeit, die dir das
Universum geschenkt hat und mit der du gesegnet bist. Freunde oder
Verwandte daran teilhaben zu lassen ist eine Pflicht und vor Allem
auch ein Möglichkeit, dir ihre Dankbarkeit zu sichern, so dass auch
sie dir helfen, wenn du sie brauchst. Gutes, was einer vollbringt
kommt immer zu einem zurück, es ist wie mit der Liebe die du gibst!
Das ist eine Konstante im Universum, genauso wie die Tatsache, dass
ich immer Recht habe!
Wir waren die
„Coolen“ im Viertel, die mit denen jeder befreundet oder bekannt
sein wollte. Wir waren einfach, wie man heute so schön sagt „in“.
Natürlich verbreiteten wir auch Angst und Schrecken, das gehört
dazu, sonst hätte man keinen Respekt vor uns gehabt. Theo und Ali
waren in unserer Freundschaft immer eher der körperliche Part,
diejenigen die um ihre Figur und ihr Aussehen besorgt waren, die
Sportler und die Eitlen, diejenigen die für Raufereien und Gewalt
zuständig waren. Obwohl ich eigentlich überzeugter Pazifist bin und
Gewalt verabscheue, hat das Leben mich gelehrt, dass einige Menschen
nur diese Sprache verstehen. So war ich in doppelter Hinsicht von den
beiden Abhängig. Ich brauchte jemanden um mich herum der skrupellos
Gewalt anwenden konnte, wenn die Situation es erforderte.
Die Zwei trugen auch
dazu bei, dass Sebastian und ich uns ernsthaft unseres Äußeren
annahmen. Basti und ich stellten eher den intellektuellen Part in
diesem Quartett dar. Mit unserem manchmal tiefsinnigen, überlegenen
Intellekt sorgten wir für das entsprechende Niveau und steckten die
anderen mit unseren Besserwissertum an. Wie Schönheit ist auch
Bildung und Wissen etwas, das ansteckend wirken kann. Zusammen waren
wir die ideale Ergänzung. Wir waren so nah an der Perfektion, dass
das Universum es nicht lange verantworten konnte uns beisammen zu
lassen.
Von den Beziehungen
zu meinen drei Freunden war immer die zu Ali die komplizierteste, und
das obwohl ich ihn am längsten kannte, nämlich seit dem
Kindergarten. Es wird wohl irgendwann Ende der 70er Jahre gewesen,
dass ich als katholisch getaufter Spanier, dem ebenfalls der selben
Konfession angehörenden Kindergarten Sankt Joseph in der List
besuchte. Das war noch ein andere Zeit in der es nicht üblich war,
dass ein Türke, der islamischen Glaubens war, einen christlichen
Kindergarten besuchte. Aber dennoch war es so, Ali kam kam dort hin.
Wir waren Pioniere einer Integration, die noch niemand kannte und für
notwendig hielt. Wie es nicht anders hätte kommen können,
freundeten wir beiden ausländischen Kinder dort an.
Es war eine sehr
gute Freundschaft die dort ihren Ursprung hatt. Eine die sehr lange
halten sollte. Auch unsere Familien verkehrten miteinander und das
obwohl beide Eltern nur gebrochen Deutsch sprachen und
unterschiedliche Religionen hatten. Aber irgendwie war das kein
Hindernis sich nicht zu sozialisieren. Sie fanden einen Weg sich zu
verständigen. Meinen Eltern schmeckte der Raki, wenn wir bei Ali zu
Besuch waren und eine spanische Tortilla und spanischer Fußball sind
immer perfekte Gesprächsthemen! So wuchs ich auf mit Ali und einer
Freundschaft zu ihm die alles überdauern sollte. Wir gingen durch
dick und dünn, besuchten die selben Schulen und hatten ähnliche
Interessen und das obwohl wir eigentlich grundunterschiedlich waren.
Wir teilten Spielzeug und Freunde. Später als wir älter wurden
manchmal sogar die Frauen, natürlich hintereinander. Immer wenn
unsere Freundschaft vernachlässigt wurde und wir uns von einander
entfernten und auseinanderlebten, sorgten unsere Schwester dafür,
dass wir wieder zueinander fanden. Wir hatten beide jüngere
Schwestern, die ebenfalls beste Freundinnen waren, und bei den
Mädchen geht so etwas immer etwas tiefer. Sie waren der Garant dafür
dass unsere Freundschaft die nötige Kontinuität hatte!
In jedem schlechten
Hollywoodfilm würde es natürlich so sein, dass einer mit der
Schwester seines besten Freundes liiert ist, womöglich noch
heimlich. Aber mit so einer telenovelatauglichen „Musicaleinlage“
kann ich hier nicht dienen. Ich wuchs mit ihr auf und sie war wie
eine weitere Schwester für mich. Ich hätte niemals etwas mit ihr
anfangen können. Es wäre als ob ich Inzest begehen würde, eine
unverzeihliche Todsünde. So verführerisch Verbotenes auch sein
kann. Wusste ich immer, dass es ein Tabu wäre das ich nicht
überschreiten dürfte. Jeder der islamische Freunde hat weiß, dass
diese im Bezug auf ihre Frauen, antiquierte Ansichten haben.
Ansichten, die einfach nicht mehr zeitgemäß sind, aber trotzdem
respektiert werden sollten. Aber wie sollen sich völkerverständigende
Gesten abspielen, wenn unsere heimlichsten Träume aus Tausend und
einer Nacht nie Realität werden dürfen?
Als jemand der zu
seiner jüngeren Schwester ein sehr enges und inniges Verhältnis
hatte, bekam ich Sachen mit in Bezug auf ihre beste Freundin, die
nicht für meine Augen und Ohren bestimmt waren. Ich schwieg und
behielt es für mich. In einen geschlossen Mund kommen keine Fliegen.
Es reicht, wenn ich soviel sage, dass auch junge türkische Mädchen
ein intimes Privatleben haben. Obwohl ich einige der Einstellung Alis
zu Frauen teile, auch ich denke, dass eine deutsche Frau zum heiraten
nicht geeignet ist. Dafür braucht man eine Partnerin der eigenen
Art, jemanden aus dem eigenen Kulturkreis. Mit einheimischen Damen
kann einer sicher sehr viel Spaß haben, für feste Bindungen sind
sie aber meiner bescheiden Meinung nach nicht geeignet. Es ist meine
feste Überzeugung und Wunsch, dass meine zukünftige Frau möglichst
unberührt sein sollte, aber nicht so extrem wie ein islamischer Mann
das praktiziert. Ich würde niemals nach der Hochzeitsnacht das
blutbefleckte weiße Bettlacken aufhängen, um der Welt und der
Familie zu zeigen, dass meine Frau noch jungfräulich war. Andere
Länder, andere Sitten. Aber in der Sache denke ich tendenziell
ähnlich, vielleicht, wenn ich es anhand einer Metapher erkläre wird
die Welt mich nicht für ganz so chauvinistisch und altmodisch
halten. Niemand will aus einer Flasche trinken, die schon tausend mal
herumgereicht wurde.
Ali ist ein sehr
sportbegeisterter Mann, er war das schon immer, und zwar nicht so
einer wie ich, der Sport mit den Augen auf den Bildschirm genießt,
sondern einer, der ihn selbst aktiv praktiziert. Wenn Theo das
Gesicht eines griechischen Gottes darstellte, so war es Ali, der den
entsprechenden Adoniskörper dazu hatte. Er war besessen von seiner
Figur und konnte jeden zweiten Tag um die 20 Kilometer joggen. Eine
Besessenheit und Begeisterung, die in ihm steckte und der er bis
heute nachgeht. Der viele Sport hatte seine biochemischen
Auswirkungen in seinem Körper. Als er vor 10 Jahren in der Blüte
seines Lebens steckte, mittlerweile ist er etwas ruhiger geworden,
war er so voller Energie und Hormone, dass er zeitweise zwei
Freundinnen gleichzeitig brauchte. Er wusste einfach nicht wohin mit
seiner Energie.
Ich erinnere mich
genau, als wir einmal alle vier auf dem Weihnachtsmarkt waren, wollte
er einer seiner damaligen Freundin ein Lebkuchenherz kaufen und es
ihr in einem Anfall romantischer Schwäche schenken und sie damit
überraschen. Beklagenswerterweise traf er in der Stadt zufällig auf
die andere Geliebte, er war es der überrascht wurde! Schlagfertig
wie er ist, improvisierte er und schenkte ihr das Herz, so als ob es
von vornherein für sie bestimmt gewesen wäre. Diese freute sich
über einen solchen spontanen Liebesbeweis so sehr, dass sie ihm ein
unvergessliches, romantisches Wochenende versprach. Es ist immer
richtig neutrale Objekte zu kaufen. Namen sollten immer vermieden
werden, so kommt es nicht zu unerfreulichen Verwechselungen.
Wir Freunde wussten
alles über seine Frauengeschichten und schwiegen. Eine Freundschaft
erfordert in unseren Augen bedingungslose Loyalität. Egal was einer
anstellt, wie falsch und unmoralisch es sei, deine Freunde müssen zu
dir halten! Du kannst ihm unter vier Augen erklären wie
unangemessen, widerwärtig und bösartig du sein verhalten findest,
aber du darfst ihn nicht verraten und ihm in den Rücken fallen. Das
Schweigen ist nicht nur ein Gebot der Mafia, auch Freunde haben dies
zu praktizieren!
Alis Familie
strahlte immer sehr viel Wärme und Geborgenheit für mich aus. Ich
war gerne bei ihnen. Dort Hausaufgaben zu machen und zu lernen war
ein Vergnügen. Es war eine gebildete Familie voller Akademiker,
nicht so laut wie meine, eine Oase der Ruhe, die auch Kinder manchmal
brauchen. Alis Mutter hatte immer wenn ich bei ihnen zu hause war
gesagt, ich sei wie ihr zweiter Sohn, eine Wärme und
Gastfreundschaft die ich durch und durch fühlte. Es war eine Zeit
als die Türken noch richtige Türken waren und ich meine damit
kemalistische Türken, die die Mustafa Kemal Atatürk verehrten und
deren Prinzipien zum Lebensmittelpunkt machten. Laizistisch, säkulare
Menschen, die zwar nationalistisch waren, aber fest an eine westlich
orientierte türkische Republik glaubten. Keine billige Imitation
eines modernen Islamisten, der Frau und Kinder mit Kopftuch in die
Stadt schickt, um der Welt zu zeigen, wie wichtig die Religion ist.
Denn lange vor Deutschland hatten die Türken bereits einen
weiblichen Regierungschef!
Alis Mutter war eine
gottesfürchtige, religiöse Frau, sein Vater eher das Gegenteil. Er
war ein moderner, laizistischer Mann, voller Lebensfreude immer
lächelnd, der sehr viel rauchte und auch gerne mal ausgiebig den
Alkohol, sprich Raki, genoss. Ich erinnere mich noch vage, dass als
Ali einmal Geburtstag hatte und seinen 15. Geburtstag feierte, uns
Alis Vater ins Wohnzimmer rief. Ich hatte diesen Raum vorher noch nie
betreten, also war das an sich schon ein außergewöhnlicher Moment.
Er sagte dass wir jetzt wo wir beide vierzehn sind, als Jugendliche
hier in Deutschland fast erwachsen seien und wir das Leben in all
seinen schönen Seiten kennenlernen würden. Dann schenkte er uns ein
Glas Raki ein und sagte:
„Wisst ihr,
Religion ist gut, aber in maßen. Ich möchte nicht, dass ihr
heimlich irgendwo in einer verrauchten Kneipe euer erstes Glas
Alkohol trinkt, serefe!!“ Er sagte das mit orientalischem
Akzent und einem sympathischen aber hinterhältigen Lächeln, so dass
ich diese Worte und mein erstes Glas Alkohol mein Leben lang nicht
vergessen werde.
Ali war nie der
klügste. Obwohl er ein durchaus vielversprechendes Potential hatte,
war er ein Ignorant was Bildung und Wissen angeht, so gleichgültig
in dieser Beziehung. Wenn ich nicht so gut mit ihm befreundet wäre,
würde ich sagen er sei dumm. Aber die Interessen sind nur
unterschiedlich gelagert und einer wertet gerne ab, was er nicht mag
und versteht. Wenn einer so eine tolle und sportliche Figur wie Ali
hat, kann man nicht auch noch von ihm erwarten dass er klug und weise
ist. Das Universum gibt dir immer nur Etwas, nie Alles!
Das Leben ist voller
Überraschungen. Gerade er ist es, der heute am wohlhabendsten ist.
Ja, ich würde sogar sagen er ist reich. Und reiche Menschen dürfen
sich ein bisschen Exzentrizität erlauben. Das war schon immer so.
Er hatte und hat
trotzdem eine unerklärliche Art von Weisheit, die ihm innewohnt.
Vielleicht eine Weisheit, die der Dummheit entspringt. Von ihm stammt
zum Beispiel der Satz „Einmal Nazis, immer Nazis!“ Diesen
Satz prägte er, als wir in der Realschule einen schweren Umgang mit
unseren deutschen Klassenkameraden hatten! Für ausländische
Jugendliche, die hier in Deutschland aufwachsen ist dieser kurze,
prägnante Satz, eine eine Art Leitsatz auf den einer
merkwürdigerweise immer wieder zurückkommt, als ob sich das Leben
in Kreis drehen würde! Unsere Geduld mag ewig wehren, aber Raum und
Zeit sind in sich gekrümmt.
Mit 16 Jahren
verließ er mit einen einfachen Realschulabschluss, gegen den willen
seiner Eltern, die Schule. Er strebte nicht, wie sein Vater es
gewollt hätte, nach dem Abitur sondern wollte nur eine einfache
Ausbildung machen und endlich arbeiten, um sein eigenes Geld zu
verdienen. Er hatte nicht das Bedürfnis einen höheren
Schulabschluss oder ein Studium zu absolvieren. Er war und ist ein
Mann mit einfachen Bedürfnissen, der in dem schnöden Mammon mehr
sieht als einfach nur eine Währungseinheit, es ist als ob jüdisches
Blut durch sein Adern fliesen würde. Er sieht in Dollar bzw. €
Zeichen eine wahre Segnung und Geld beflügelt ihn. Sicher macht Geld
alleine nicht glücklich, es kann manchmal ein Fluch sein. Aber auch
hier hat mich das leben gelehrt, das diejenigen, die immer sagen das
es nicht glücklich mache, die sind, die am meisten haben!
In einer Familie wie
seiner in der es so viele Akademiker gibt, sorgte dies für viel
Aufregung und Enttäuschung. Er wusste, was er wollte und ist seinen
Weg gegangen. Es war aber ein steiniger, langer und schwerer Weg, den
er zurücklegen musste. Aber das Ziel stets vor Augen hatte er immer
Kurs gehalten und wurde belohnt.
Als Jugendlicher mit
Migrationshintergrund in der Bundesrepublik einen Ausbildungsplatz zu
finden ist kein einfaches Unterfangen. Es erfordert Geduld und
Ausdauer. Viel Frustration und über 300 Bewerbungen waren von Nöten.
Drei lange Jahre dauerte sein Martyrium bis seine Suche von Erfolg
gekrönt wurde. Ausländische Mitbürger werden auf dem deutschen
Arbeitsmarkt systematisch benachteiligt. Natürlich ist das ein nicht
beweisbares Faktum, welches immer wieder bestritten wird. Wie belege
ich, dass meine ethnische bzw. meine nationale Herkunft der Grund für
meine Absage ist? In dieser Beziehung haben sich Hitlers Kinder nicht
weiter entwickelt, sie erkennen nicht, welch hohes Potential ihnen
durch ihre rassistischen Verblendungen entgeht. Bei über 10
Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik
Deutschland ist es ein enormes Humankapital, dass hier in diesem Land
dahinvegetiert, ohne dass es ausreichend genutzt wird! Wir brauchen
keine Facharbeiter aus fremden Ländern, wir müssen nur die die wir
schon haben richtig ausbilden und allen auf dem Arbeitsmarkt ein
faire Chance geben. Es kann auch nicht sein das Menschen in Arbeit
sind und so wenig verdienen, dass sie noch zusätzlich „Hartz IV
Aufstockung“ beziehen müssen.
Was lange wehrt,
wird endlich gut. Ali zeigte in dieser Zeit der verzweifelten Suche
einen grenzenlosen Optimismus, wo anderen verzweifelt wären und der
Hoffnungslosigkeit und Selbstmitleid verfallen wären, zeigte er Mut
und Kraft. Ich wusste nicht woher er diese Energie nahm. Er hatte
eine Stärke und eine Kraft, um die ihn selbst der legendäre
Herkules beneidet hätte.
Damals dachte ich es
wäre sein begrenzter Intellekt, der ihn trotz allem so positiv
denkend erscheinen ließ. Lieber Leser, vielleicht haben Sie es auch
schon einmal beobachtet, dass dumme Menschen mit wesentlich mehr
Leichtigkeit durchs Leben gehen als kluge und tiefsinnige. Es ist
vielleicht die fehlende kritische Reflexion, die es dummen Menschen
ermöglicht Ziele zu erreichen, die ihnen vom Bildungsstand
eigentlich nicht zustehen.
Während kluge
gebildete Menschen noch darüber nachdenken und reflektieren ob etwas
richtig wäre, sich in tiefschürfenden philosophischen inneren
Monologen verlieren, handeln dumme einfach, „tun statt denken“
ist die Devise, die sie voranbringt. Wird die dumme Leichtigkeit des
Seins auch noch durch ein angenehmes Äußeres - sprich also einer
schönen Verpackung - unterstützt, sind wir alle zu gerne bereit,
Dummheit und fehlende Bildung hinzunehmen und zu akzeptieren.
Ein Beispiel hierfür
ist die im Volksmund sehr bekannte „dummwiebrot“ Blondine. Jeder
kennt eine in seiner nahen Umgebung und obwohl einer sich gerne
darüber lustig macht ist diese Blondine allgemein sehr beliebt und
bei vielen geschätzt. Es ist hier das angenehme Äußere, welches
uns gewinnend einnimmt! Unterstützt werden solche vollkommen
unangebrachten volkstümlichen Vorurteile auch noch durch eine andere
vielleicht sogar noch weiter verbreitete falsche Schlussfolgerung,
dass dumme Menschen gut kopulieren könnten! Liebe Leser, Sie merken
wie ich versuche verzweifelt dieses widerwärtige deutsche „f-Wort“
zu vermeiden, aber jeder kennt den Satz auf den ich mich hier
beziehe!
Ich würde jetzt
nicht sagen, dass Ali immer dumm war oder ist, aber ein Bisschen
„mentalblondmässiges“ hatte er manchmal an sich. Einer der
Gründe, weshalb er in der schweren Zeit seiner Ausbildungsplatzsuche
so optimistisch sein konnte, war dass er immer etwas zu tun hatte. Er
viel zu beschäftigt war um sich zu viele Gedanken zu machen. Sein
Sport der ihn voll einnahm und seine Tätigkeit im Sicherheitsdienst
seinen Cousins. Wie jeder weiß haben Türken immer eine große
Familie in der jeder jedem hilft. Wer Ali in der Uniform des
Sicherheitsdienstes seines Cousins gesehen hat, bekam Angst vor ihm.
Ja, gib einem Deutschen eine Uniform und du wirst wirklich erkennen,
das Kleider Leute machen, egal ob der Deutsche in diesem Fall einen
Migrationshintergrund hat. Hitlers Kinder sind überall. Aber auch
die Türken müssen sich in dieser Beziehung nicht verstecken, sie
haben ebenfalls eine glorreiche militärische Tradition! Natürlich,
wie sollte es auch anders sein für einen Ausländer, bezog Ali
Sozialhilfe während er für seinen Familienangehörigen jobbte!
Der Ausbildungsplatz
der Ali zufiel war der eines einfachen Handwerkers. Nicht dass ich es
abwerten will, in einem mittelständischen Unternehmen das Küchen
einrichtet, also ein Küchenstudio, welches hier in der Region recht
bekannt ist, zu arbeiten. Es war nur ein Handwerksberuf den er
erlernt hatte, obwohl er lieber in einen kaufmännischen Beruf wie
zum Beispiel Bankkaufmann oder Versicherungskaufmann seine Lehre
absolviert hätte. Wenn du ihn heute fragst, wird er dir natürlich,
weil es so gut bei ihm gelaufen ist, sagen, dass es das ist was er
immer sein wollte. Aber dem war nicht so, und ich war dabei, ich habe
eine Bewerbung nach der anderen mit ihm geschrieben und versucht jede
neue zu verbessern. Aus den Absagen versuchten wir Lehren zu ziehen
und die nächste Bewerbung zu verbessern. Wenn ein Lebenslauf wieder
zurück kam in dem der Absatz „Staatsangehörigkeit: türkisch“
rot unterstrichen war, verloren wir uns nicht in sinnlosen Nörgeln
über die Deutschen, sondern hackten es als „einmal Nazi, immer
Nazi“ Charakterzug ab. Damals hatte Ali noch nicht die deutsche
Staatsbürgerschaft angenommen, sondern war noch ein stolzer, mutiger
Türke. Niemand hätte erahnen können welch außergewöhnliches
Talent er als Handwerker entfalten würde und welch beeindruckende
Karriere ihn erwartete. Das Schicksal ist voller Überraschung und
Ironie, das Universum hat durchaus einen Sinn für Humor!
Abonnieren
Kommentare (Atom)