Donnerstag, 1. März 2012

Jetzt neu nur für sehr kurze Zeit noch vor der Veröffentlichung als Buch Kapitel 1-3 frei zu lesen, for free!


Kapitel 2

Ein „Kulturrassist“ ist eine Person der von der Überlegenheit seiner eigenen Kultur überzeugt ist. Im begrenzten Masse ist jeder Patriot ein solcher, aber erst die Dosis definiert krankhaftes, pathologisches verhalten. Wie so manches Gift, welches in geringer Menge heilsame Wirkung hat, ist hier ein übermäßige Dosierung toxisch.

Ich bin ein solcher „Kulturrassist“. Meine Wenigkeit ist aufgrund des hohen Bildungsstandes so sehr von seiner eigenen Kultur überzeugt, dass ich andere abwertete. Hass kann eine sehr starke Emotion sein, ein mächtiger Verbündeter, der dir Kraft gibt und Selbstbewusstsein, dich an deinen falschen Überzeugungen bindet und dich blind und unzugänglich macht für logische Argumente . Wann bin ich zu diesem Unmensch mit so grundsätzlichen Vorurteilen geworden, ich weiss es nicht mehr so genau, lasst mich genauer nachdenken. Es geschah in meiner Jugend, noch nicht in der Schulzeit, die war glücklich und frei von Vorurteilen, aber nicht so meine Studienzeit. Ja hier wird es gewesen sein während des Studiums, an einen Ort in Niedersachsen an dessen Namen ich mich nicht mehr zu erinnern vermag.

Es geschah irgendwo in Deutschland in den 90er Jahren an einer renommierten, anerkannten, staatlichen Universität. Bevor ich das studiert habe, was ich erfolgreich und mit Enthusiasmus und Spaß beendet habe, versuchte ich mich in einem anderem Fach zu dem die sogenannten Experten, aufgrund der exzellenten Zukunftsaussichten, damals rieten. Die Rede ist hier von den Ingenieurwissenschaften genauer genommen dem Fach Bauingenieurwesen. Ja ich gehöre zu denen, die ein Studium begonnen haben, es sechs Semester studierten, und dann abbrachen, um etwas anderes zu studieren. Aber das ist eine andere Geschichte, die an einem anderem Tag erzählt werden wird!

Das Bauingenieurwesenstudium ist ein langweiliges und wenig praxisorientiertes, keine Baustellen oder Brücken, die einer besichtigen muss, um die Kraft und Macht zu erkennen , die ein Ingenieur haben sollte. Statt dessen trockene, einschläfernde, geistlose Theorie: Mechanik, Statik, Bauzeichnen, Baustoffkunde, Mathematik etc. Bereits das Auflisten dieser Fächer hinterlässt einen einschläfernden Eindruck und langweilt.

Ich war mit meinen 19 Jahren noch grün hinter den Ohren und idealistisch, bereit die Welt, um mich herum zu erobern, so sollte Man“n“ in dem Alter sicher sein! Zu meinen Leidwesen war ich, aber auch unheimlich faul und undiszipliniert für ein solches anspruchsvolles Studium. So schummelte ich mich, wie all zu oft in meinem Leben, durch und bestand die ersten Prüfungen mit ach und Krach. Was soll es, dachte ich mir, Vier gewinnt und versuchte es weiter.

Eine der vielen schriftlichen Examina, die ich knapp nicht bestand, war die in Statik. Vor die Wahl gestellt die ganze Prüfung zu wiederholen oder mich einer zusätzlichen Mündlichen zu stellen, entschied ich mich für letzteres. Brauchte ich doch nur eine 3.2, um die ganze Prüfung, als bestanden anerkannt zu bekommen. Über Noten machte sich einer damals keine Sorgen, Hauptsache bestanden. Der Tag der Prüfung näherte sich und „lernen“ war für mich ein Fremdwort. In der freudigen Erwartung, dass ich für diese Note nicht viel lernen müsse, um zu bestehen, stellte ich mich mich der mündlichen Prüfung mit der Überzeugung, dass das Universum mir folgen wird, wenn ich den Sieg im Herzen trage. Ich weiß nicht woher, aber ich wusste, dass ich bestehen würde. So stellte ich mich der Herausforderung ohne Vorbereitung aber optimistisch und mutig, wie ein Matador der in die Arena geleitet wird, denn den Mutigen gehört die Welt. Was mich dann in der Prüfung erwartete überraschte mich!

Es war ein Gruppenexamen zusammen mit vier Anderen, stellte ich mich den Statikprofessor. Ein Prüfer, der mir vorher nur durch seine unbedachten Äußerungen über Architekten in den Vorlesungen aufgefallen war. Es war ein älterer, reifer Herr, so um die fünfzig sehr gepflegt und konservativ wirkend, immer humorvoll und schlagfertig. Das Konservative sollte sich bei ihm nicht nur bestätigen, sondern sich als eine tiefe rassistische Grundüberzeugung manifestieren, die mir in diesem Fall zu Gute kam, mir aber die Augen öffnete, in was für einem Land ich lebe.

In der Stadt, in der ich studierte, irgendwo in Deutschland genauer genommen in Norddeutschland gab es sehr viele afrikanische und asiatische Studenten, die mit Stipendien hier her kamen, um sich den Ingenieurwissenschaften zu widmen. Sie waren uns, was ihr Fachwissen angeht bei Weitem überlegen, waren es doch Elitestudenten, die her gesandt wurden, um die berühmte deutsche Ingenieurskunst zu erlernen und dann irgendwann in ihr Herkunftsland zurückzukehren, und das erlernte „Know How“ so zu exportieren. Einer Art Entwicklungshilfe, die bis heute geleistet wird, aber oft daran scheitert, dass die fertigen Akademiker , also Ärzte, Ingenieure, Architekten oder Maschinenbauer gar nicht in hier Herkunftsland zurückzukehren wollen.

Aber ich schweife ab und entferne mich vom Wesentlichen. Diese Studenten aus fernen Lande schienen nicht nur sehr klug und exotisch sondern, fielen auch durch ihre oft begrenzten Deutschkenntnisse auf. Also um es deutlicher und weniger politisch korrekt auszudrücken, sie sprachen alle nur sehr gebrochen Deutsch und erhielten von dem Professor auch ein entsprechende Behandlung.

Der Professor sprach Sie ebenfalls in gebrochenen Deutsch an. Ich weiß nicht, ob es eine Bezeichnung gibt für das „Deutsch“, das einige mit Ausländern sprechen, wenn sie merken , dass deren Deutschkenntnisse begrenzt sind, ich werde es hier in meiner künstlerischen Freiheit „Deutschkanakisch“ nennen. Der Professor sprach auf jeden Fall so mit ihnen in „Deutschkanakisch“.

Anders als meine Wenigkeit waren diese Kommilitonen nicht nur interessiert daran zu bestehen, nein sie machten diese Prüfung teilweise sogar freiwillig, um ihre Note zu verbessern. Streber würde ein einfacher Mensch denken, nein einfach nur Elitestudenten, die von Weit herkamen um sich weiterzubilden. In Ihrer Denkweise schuldeten Sie es Ihrem Herkunftsland, die bestmögliche Note zu erlangen. Da saß ich nun, als einziger Weißer in ein mündlichen Prüfung mit drei Afrikanern und einen Asiaten, die mir in ihrem Fachwissen weit überlegen waren. Trotzdem saßen wir alle im selben Boot und waren den Launen des Prüfers ausgeliefert. Lieber Leser ich hoffe Sie erkennen die Ironie und den Witz dieser Situation, wenn Sie sich das Bild der Prüfung vor Ihrem Geistigen Auge führen!

Ohne viel Fachwissen, aber mit korrektem, akzentfreien und fliesendem Deutsch versuchte ich mich während der ganzen Prüfungsstunde hervorzutun. Eloquent, wie ich bin, dachte ich, wenigstens in dieser Hinsicht punkten zu können, der Professor sprach mit mir in „Normaldeutsch“. Bei fünf Prüflingen in 45 Minuten bleiben für einen Einzelnen nur wenige Fragen, maximal zwei bis drei Fragen pro Kandidat, um sein Wissen unter Beweis zu stellen. Als die Reihe an mir war zu antworten, stellte mir der Professor mehrere Fragen und dann schließlich eine über Auflagerkräfte. Es war eine 50 zu 50 Frage und ich ratete richtig! Selbstsicher und arrogant wie ich oft wirke, wusste ich am Blick des Professors, dass ich richtig geraten hatte. Dann fragte er mich noch warum, ich wusste es nicht, hatte ich doch vorher nur geraten, deshalb schwieg ich einfach. Ich versuchte mich nicht rauszureden, und irgendetwas zu erzählen, hielt einfach meinen Mund, denn in einen geschlossenen Mund kommen keine Fliegen. Manchmal ist Schweigen einfach Gold! Dumm muss ich wohl ausgesehen haben, als ob ich nicht verstehen würde, was er von mir will, aber ich hatte einfach keine Ahnung und hielt den Mund. Weiter ging die Prüfung mit den Anderen und war dann auch schnell vorbei. Obwohl es einem damals wie eine halbe Ewigkeit vorkam, als ob sich die Zeit dehnen würde und nie enden wird. Jeder fragte sich, kommt er noch einmal dran, aber das war es dann auch gewesen.

Als es dann daran ging zu zensieren, nahm sich der Prüfer einige Minute, schickte uns aber nicht raus, sondern lies uns dort sitzen. Ging die Liste mit den Namen durch und schaute jeden einzelnen streng und tief in die Augen, als es dann an mir war, betrachte der Professor meinen Namen, der ausländisch und spanisch war, überlegte und sagte:
„Achso, Sie sind auch nicht von hier, woher kommen Sie denn?“ „Ich komme aus Spanien.“ antwortete ich kurz und prägnant. „ Das werde ich beim Zensieren natürlich berücksichtigen, ich dachte wenigstens Sie würden mich richtig verstehen.“
Ich sagte wieder Nichst, lächelte nur, klärte ihn aber nicht auf, dass ich Bildungsinländer sei und hier aufgewachsen bin und ihn perfekt verstand, zumindest sprachlich.

Sicher bin ich in meinem Leben vieles gewesen dick, langsam, stolz, arrogant und manchmal sogar besserwisserisch, aber nie Dumm. Nein, dass bin ich nicht. So schwieg ich auch weiter, und hatte nicht die Zivilcourage den Prüfer die volle Wahrheit zu erzählen. Denn diese hängt oft vom Auge des Betrachters ab, hatte ich ja nicht gelogen, ich bin und werde es immer sein: Spanier. Warum sollte ich nicht von der rassistischen Arroganz eines alten Mannes profitieren, oft wird einer als jemand mit Migrationshintergrund benachteiligt, warum nicht einmal Vorteile davon haben. Ich war glücklich in dieser Situation. Aber ich glaube nicht an das Glück. Es gibt dir keiner Glück, das musst du dir immer selber nehmen! Und das tat ich in diesem Moment und bestand mit 2.3. Ich war happy bestanden zu haben und lästerte mit den anderen Prüflingen noch kräftig über den Professor.

Auch aus meiner jetzigen Perspektive über zwei Jahrzehnte später, erscheint mir dieser Augenblick der Prüfung, als ob er gerade eben passieren würde. Ich sehe die Gesichter der Kommilitonen vor mir, den Prüfer mit seinen beschränkten Geist und alles erscheint mir so surreal, als ob es aus einem absurden Theaterstück entnommen worden sei. Was müssen erst die Afrikaner, die über einen messerscharfen Intellekt verfügten, empfunden haben? Damals hatte ich eine sehr naive Sichtweise auf die Gesellschaft, glaubte an das Gute in dem Menschen und in der Gesellschaft, wollte mir nicht eingestehen, was ich gesehen hatte. Ungewollt hatte mir dieser verrückte Professor einen Augenblick absoluter Klarheit verschaft. In dem du für den Bruchteil einer Sekunde im Dunkel sehen kannst erlangst du einen Moment der vollkommenen Klarheit, wie dir das Universum nur sehr wenige schenkt. Ich sah unsere Gesellschaft mit all ihren Vorurteilen, wie sie wirklich ist! Hitlers Kinder hatten sich mir offenbart und sich mir gezeigt. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Sie sich mir zeigen! Die seelenlosen Lakaien der Orthodoxie sollten zurückzukehren. Ganz kurz hatte ich das Licht gesehen, ich konnte es nicht länger ignorieren und eine rosarote Brille aufsetzen, diese Erfahrung hatte mich geprägt.

Ich schuldete es der Stadt und dem Gemeinwohl etwas zu unternehmen, konnte es nicht hinnehmen, dass die Sachen sind, wie sie sind! Ich war ja hier geboren und aufgewachsen, hatte mich immer, als Teil dieser Gesellschaft empfunden. Es konnte nicht sein, was ich gesehen hatte, dass Rassismus und Vorurteile so tief gehen! Kaum vorzustellen das ich mich in Mitteleuropa in Deutschland ein paar Jahre vor dem Beginn des 21. Jahrhunderts befand. Ist es möglich, dass das hier und diesem Land mit dieser Geschichte geschieht. Wo war ich? Wo ist das geschehen? Es geschah irgendwo in Deutschland...

Von diesem Tag an war ich besessen vom rassistischen Wesen der Deutschen, sah überall Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Wenn einer voller Misstrauen und Argwohn durch die Welt geht ist es nur eine frage der Zeit bis dieses auch bestätigt wird. Das Böse lauert überall und will entdeckt werden.


Kapitel 3

Es war kalt, aber die Kälte war nicht nur draußen, sondern auch in unseren Herzen. Ich fuhr, wie gewöhnlich nach hause, obwohl nicht mehr in der List wohnend, verbrachte ich immer noch sehr viel Zeit dort. Hatte mich an mein neues Viertel in Ricklingen noch nicht adaptiert. Ich vermisste meine alte Wohnung, meine alte Umgebung, die Spontanität. Die Möglichkeit schnell und unkompliziert Freunde zu treffen und mein altes Viertel: die List fehlten mir so sehr. Die langen Spaziergänge in der Lister Meile und die kurzen spontanen Zigaretten im Vahrenwalder Park gehörten jetzt der Vergangenheit an. Kaum zu glauben, dass einer so stark an seiner gewohnten Umgebung hängen kann! Alles fehlte mir insbesondere meine alte Wohnung, die um einiges größer war, jeder einzelne Quadratmeter weniger war eine unerträgliche Pein in meiner Seele, selbst der Schimmel besagter Altbauwohnung sorgte auf einer sehr merkwürdigen Ebene für latente Entzugserscheinungen.

Wenn einer für lange Zeit an einen Ort verbleibt, lässt er etwas von sich dort für immer zurück. Es ist als ob man mit Objekten und Orten auf eine mysteriöse Weise verbunden wäre. Ich bin mir sicher, dass in meiner alten Wohnung die ich 33 Jahre bewohnte, meine Präsenz noch spürbar ist, schaut einer dort in die Ecken einer der Räume und geht den sehr langen geräumigen Flur entlang kann er, wenn er sich nur konzentriert meine Präsenz spüren, es ist wie ein Schatten den einer zurücklässt ein Echo seiner selbst, der bis ans Ende der zeit dort verbleibt oder nur bis die Erinnerung, der Vergessenheit anheim fällt.

Hätte ich in der Zeit des Umzuges und Einlebens im neuem Viertel nicht einem meiner besten Freunde Sebastian zur Seite gehabt, wäre Alles noch wesentlich schwieriger gewesen. Basti half mir mich einzuleben und zeigte mir das die Gegend in die ich gezogen war auch ihren ganz eigenen Charme hatte.

Sebastian war das Computergenie unter uns. Bereits in den 80er Jahren programmierte er auf seinen Commodore C64 komplexe Programme in rudimentären Basic. Es gab keinen Computertrend den er nicht mitmachte und über den er nicht Bescheid wusste. Ob die ersten aufkommenden Prozessoren der Marke mit dem „P“, das mittlerweile marktdomierende „Fensterbetriebssystem“ oder die bekannte Marke mit den abgebissenen Apfel. Ob Smartphone, PC , Notebook oder Tablet, er konfigurierte dir alles. Wenn du einen neuen Router hattest und dieser nicht so wollte wie du es gerne hättest? Wenn hast du dann gerufen? Sebastian, natürlich, sein Wissen und sein Talent, was Technik und Computer betrifft, war legendär.

Als jemand der beruflich selber mit Computer zu tun hat, gebe ich es ja ungern zu, aber, er wusste definitiv mehr als ich und er lies dich an seinem Wissen teilhaben. Konnte dich mit seiner Begeisterung für einfache Dinge anstecken und mehrte so dein Wissen um einiges. In einer anderen Realität wäre er bestimmt ein zweiter Bill Gates oder Steve Jobs geworden. Aber aus Menschen unserer Klasse und Herkunft kann in diesem Land Nichts werden, denn wir leben ja in einem modernen „Apartheidsstaat“! Wie seine Mutter nannte ich Sebastian bei seinem vollem Namen, nicht „Basti“ wie ihn alle nannten. Ich kannte ihn seit der Grundschule, deswegen nahm ich mir dieses Privileg heraus.

So groß wie sein Talent war auch seine Hilfsbereitschaft. Er war der am meisten unterschätzte unter uns vier, klein und unauffällig aber auf seine weise genial. Denn vier Freunde waren wir. Ali, Theo, Sebastian und ich. Ein Türke, ein Grieche, ein Spanier und ein Deutscher, unzertrennlich in unseren besten Zeiten und auch gefürchtet in unserem Viertel.

Manchmal wünsche ich mir, ich hätte Sebastians Stärke seinen Mut, seinen Idealismus für das einzustehen voran man glaubt. Denke ich ich heute mit meinen reifen 42 Jahren zurück an Sebastian, bin ich sehr traurig, den Tränen nahe, aber gleichzeitig auch Stolz und voller Bewunderung. Mir ist dann immer so, als würde ich seine beruhigende flüsternde Stimme hören, die mir sagt: „Never change a running system !“oder eine seiner gefürchteten Hasstiraden gegen Polizisten. Ja, er hasste die Polizei mit jeder Faser seines Körpers. Er hatte eine natürliche Abneigung gegen die Männer in grün. Damals war die Polizei in Niedersachsen noch in ihrer alten bewerten Uniform, grün statt blau. Seine Aversion gegen die Ordnungskräfte ist auch einer der Gründe warum er, obwohl er Deutscher war, trotzdem zu uns drei sehr gut passte. Er war das Bindeglied zwischen uns vier, der der mehr als nur einfache Freunde aus uns machte, wir waren Brüder - im Geiste Verwandte - die in ihrem Hass und Abscheu gegenüber dem System vereint waren. Denn die die über die Wahrheit bescheid wissen, sind mehr als Freunde: sie sind Brüder!

Wie jener famose Ritter aus la Mancha der durch die intensive Lektüre von Ritterromanen eine leichte Faszination für Windmühlen entwickelte, bewirkte intensive Beschallung und die Lektüre von Rapsongs bei Sebastian eine innere Rebellion gegen das System, die sich in einer ausgeprägten Abneigung gegen Polizisten manifestierte! Woher seine „Polizistenliebe“ wirklich herrührt sollte ich erst viel später herausfinden.

Wenn einmal -hoffentlich in sehr ferner Zukunft- mein Lebenslicht erlischt, und das Universum mich zu sich ruft, um mich und meine unsterbliche Seele dem großen materiellen Kontinuum zuzuführen, hoffe ich einen so glorreichen und mutigen Tod wie Sebastian zu haben! Denn er hatte einen ruhmreichen Tod. Ein letzter großer Auftritt, wie er nur wenigen zu teil wird und wer mich gut kennt, weiß, dass ich ein Schwäche für große Auftritte habe! Aber die Geschichte seines Ablebens ist ein andere, die an einem anderem Tag erzählt werden wird.

Während meines Umzuges und der Renovierung meiner neuen Wohnung weilte Sebastian noch unter uns; er war sogar quicklebendig in der Blüte seines Lebens mit seinen 32 Jahren. Wie ich ein erlesener 74er so Jahrgang. Wir hatten noch keine Ahnung wie groß sein Talent, was Computer und Programmieren angeht war, wussten nicht, dass er insgeheim einer der bekanntesten Hacker Deutschlands war und eine wichtige Rolle in der aufkommenden „Anonymousbewegung“ inne hatte. Wir sollten es aber sehr bald rausfinden...

Sebastian war ein Einzelkind, ein deutscher mit polnischen Wurzeln, der gerne Geschwister gehabt hätte, aber man will ja immer, was man nicht hat. Das ist auch einer der Gründe warum er so häufig bei mir zu Gast war. Während ich über das laute nervige Geschreie meiner lieben Mutter und die regelmäßigen Streitereien mit meinen Geschwistern erzürnt war, genoss er diese Augenblicke. Wie ein Außerirdischer, der neugierig die neue Spezies Mensch erforscht, beobachtete er mit viel Interesse und Neugier meine große komplexe Familie.

Seine alleinerziehende Mutter hatte immer alle Mühe seinen kostspieligen Computerkapriolen nachzukommen, aber als Einzelkind kam er immer auf seine kosten! Einer der Gründe warum ich so gerne mit ihm meine wertvolle Zeit verbrachte war dass er nicht nur sympathisch und unterhaltsam – einfach einer der liebsten Menschen der Welt war, sondern er einfach Alles hatte. Alles außer genug Liebe.

Seine Mutter die neben ihrer anstrengenden Schicht - und Akkordarbeit in einer Fabrik auch noch als Reinigungskraft nebenbei tätig war, konnte ihrem Sohn nicht genug Zeit widmen. Dabei war gerade er ein Kind dass viel Aufmerksamkeit bedurft hätte. Die Folge war ein schüchterner zurückhaltender junger Mann , der nur sehr spät zu sich selber fand. Als Dankeschön dafür dass Sebastian sehr oft bei uns zu hause zu Gast war und meine Eltern auch auf ihn aufpassten, hütete seine Mutter zwei mal die Woche mich und meine kleine Schwester. Ich fand das immer wunderbar und aufregend, so war ich im Stande noch mehr Zeit mit einem meiner besten Freunde zu verbringen. Sebastians Mutter genoss diese Augenblicke ebenfalls, obwohl sie dass natürlich nicht zugab. So konnte sie meiner kleinen niedlichen Schwester die Haare bürsten, und für kurze Zeit fühlen wie es wäre eine Tochter zu haben. Während meine Eltern ihren wöchentlichen Kartenspielabend genossen und uns in der Obhut Elsiabetas ließen, war ich im Stand mit Sebastian neue Streiche auszuhecken.

Zwei Dinge sind Spaniern neben ihren zahlreichen Schutzheiligen und Jungfrauen wichtig, das ist einmal der Fußball und außerdem auch noch das Kartenspielen. Bei den vielen Heiligen und Jungfrauen, die es in meinem Land gibt, ist es ein Wunder, das dort noch genug Kinder zur Welt kommen und es überhaupt noch Einwohner gibt. Meine Großmutter in Valencia, sie ruhe in Frieden, ist mit 97 Jahren noch zwei mal wöchentlich Kartenspielen gewesen. Meine Eltern waren in dieser Beziehung, obwohl sie nicht sehr gesellige Menschen waren, nicht anders. Jeweils Donnerstags und Samstags machten sie sich auf den weg nach Linden dem spanischen Viertel dieser wunderbaren Stadt. Dort frönten sie fleisig nach Geschlechtern getrennt ihrer Spielleidenschaft und brachten sich auf den neuesten Stand, was Klatsch und Tratsch in unserer kleinen spanischen Kolonie. Je nach der Laune meines Vaters, konnte ich am nächsten Tag erraten ob er an diesem Tag eine Glückssträhne gehabt hatte. Das war dann immer einer der Momente in denen ich bei meinem Vater etwas erreichen konnte, sei es auch nur eine kleine Erweiterung meines Taschengeldes. Sonst war natürlich für mich als guter Sohn immer meine Mutter meine erste Anlaufstation.

Obwohl Sebastian ein hartes und graues Wesen zu haben schien, hatte er auch ein weiche sanftmütige ernsthafte Seite an sich, die nur wenige kannten. Gutmütigkeit ist wohl etwas an das man nicht jeden teilhaben lässt! Er war derjenige, der herausfand, dass ich in Ricklingen nur acht Minuten vom Maschsee entfernt wohnte, ein Erkenntnis, die uns tägliche Spaziergänge bescherte und mir die Erleuchtung, das jedes Viertel in dieser großartigen Stadt etwas Besonderes ist.

Der Maschsee ist ein künstlich angelegter See mit 7,2 km Umfang ein beliebtes Ausflugsziel und die schönste Jogging-strecke der Welt! Da immer wieder gerade von älteren Menschen die Behauptung aufgestellt wird, dass Adolf Hiltler diesen See erbauen lies, sollte hier einmal richtig gestellt werden, dass die Planung dieses Gewässers bereits aus Zeiten der Weimarer Republik stammte. Der faschistische Diktator beendete den Bau nur und gefiel sich nur wie jeder Despot in Rolle des edlen Spenders und Arbeitsbeschaffer. Alle Jahre wieder, wenn es kalt und gemütlich wird und der Winter naht, es zu frieren beginnt, stellt sich mir die selbe frage. Wird der Maschsee dieses Jahr gefrieren? Wird die Eisdecke die nötige dicke erreichen auf das die Behörden den See zu Begehung und zum Schlittschuh-fahren freigeben?



Die nähe zum See lies mein neues viertel in meiner Wertschätzung um einiges steigen. Aber erst die letzte Lieferung einiger meiner neuen Designermöbel, bewirkte, dass ich definitiv realisierte, dass ein neuer Lebensabschnitt für mich begann, ein Wendepunkt in meinem Leben. Die Entfernung zu List betrug mit der Straßenbahn nur zehn Minuten, ich war also in Reichweite meiner freunde und nicht, wie ich befürchtete aus dem Auge und aus dem Sinn.