Es war das Jahr des
Sterns. Zehn Jahre nach dem für die Jahrtausendwende angekündigten
Weltuntergang und zwei vor dem von den Mayas für das Jahr 2012
prophezeiten. Beide fanden natürlich nicht statt! Solche
abergläubischen Prophezeiungen haben immer nur den Zweck zur
Kontrolle, der kleine Mann soll über gewöhnliche Angst gefügig
gemacht werden. Aber nicht die Sterne am Firmament sind hier die
relevanten, sondern der der auf dem spanischen Nationaltrikot
erstrahlt.
Es war ein Jahr
unendlicher Freude für jeden Spanier auf der Welt. Spanien wurde
Fußballweltmeister, endlich, es ist als, ob ich mein ganzes Leben
auf diesen Moment gewartet hätte und nicht einmal in meinen kühnsten
Träumen hätte ich gedacht, ihn zu erleben. Doch ich war dabei und
wurde Zeuge, zwar nur mit den Augen auf den Bildschirm, aber dennoch
live und direkt. Vom Spiel habe ich am jenem Tag nur sehr wenig
mitbekommen, denn es war ein Tag zum feiern.
Als wir im
Vahrenwalder Park auf das neue Jahr anstießen und uns der üblichen
Feuerwerkskörper entledigten, wussten wir noch nicht welche tolles
Jahr es werden sollte. Vielleicht lag es an der außergewöhnlich
hohen Anzahl an Knallkörpern, die wir dieses Jahr zündeten, dass es
so ein wundervolles wurde. Wir, das sind meine drei Freunde Theodoro
(Theo), Ali , Sebastian (Basti) und ich.
Theo war der
Prototyp des modernen Metrosexuellen. Ein stolzer und drahtiger
Grieche, der wann immer er konnte darauf hinwies, dass sein Volk es
war welches der Welt in der Antike die Philosophie und Mathematik
geschenkt habe. Bereits Ende der Achtziger Jahre, als noch keiner
David Beckham kannte und Christiano Ronaldo noch in den Windeln lag,
lebte er uns vor, was ein gepflegter gut aussehender Mann zu tun hat,
um so noch hübscher und attraktiver zu wirken. Heutzutage würde
jeder denken Theo sei vom Anderem Ufer, aber das war nicht Fall, eher
das Gegenteil. Bereits mit Vierzehn als wir anderen noch fleißig mit
Lego und Playmobil spielten war Theo schon am kopulieren. Er war ein
Frauenheld ohne gleichen. Eine schlichte Eleganz, die er auch aus
beruflichen Gründen, an den Tag legte, er war Bankkaufmann, sorgte
dafür, dass ihm alle Frauen zu Füssen lagen. Ob Brünette, Blond
oder Rothaarig, keine war vor ihm sicher, er hatte sie alle. Die
Frauen liebten Theo und er mochte die Frauen bedingungslos.
Er war schon immer
unserer Modeberater, unsere kleine „fashionqueen“. Wenn wir eine
Jeans brauchten und in die Stadt fuhren, um uns eine zu kaufen, dann
nahmen wir Theo mit. Er wusste alles über Mode und half dir die
perfekte Hose für dich zu finden, und konnte dir dir dann auch genau
mitteilen wo du sie am günstigsten erwerben konntest. Sogar bei der
Wahl der passenden Unterhose, die den Schnitt dieser oder jener Jeans
betonte half er dir. Mode und Theo das gehörte immer unzertrennlich
zusammen. Jeden Trend kannte er und wusste Unmengen darüber zu
erzählen. Als die neuen Drogerieketten aufkamen und populär wurden,
konnte er dir ganze Vorträge darüber halten welche Creme oder
Haarfesttiger die erwarteten Effekte hatten. Seine Expertise war
immer kompetent und fundiert.
Mit ihm feierte ich
im Jahr 2010 Spaniens ersten WM Titel. Das war kein Zufall den
bereits vor 6 Jahren 2004 hatte ich mit ihm den
Europameisterschaftstitel Griechenlands zelebriert. Nur dass diesmal
nicht Ouzo, sonder Sangria das Getränk des Abends war. Und der Held
des Tages nicht Otto Rehhagel sondern Andres Iniesta hieß.
Theo war ein gut
aussehender Mann, er war von einer atemberaubenden Ästhetik, als ob
ihn eine Aura des Schönen und Einzigartigen umgeben würde, ich weiß
nicht von welcher Göttin er abstammen musste, aber es sollte wohl
als guter Grieche Venus oder Aphrodite höchstpersönlich sein. Wo er
auch hinkam drehten sich alle nach ihm um, mit ihm eine Kneipe oder
ein Café zu betreten war immer ein Vergnügen, den mit ihm warst du
für ein paar Sekunden der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit. Gerne
bildete ich mir natürlich immer ein, ich sei es auf den alle starren
würden. Aber dem war leider nicht so.
Umgibst du dich mit
hübschen Menschen, färbt etwas von ihrem Glanz und ihrer Schönheit
auch auf dich ab. Wie bei den Reichen und Berühmten, die sich nur
untereinander sozialisieren. So erscheint es uns gewöhnlich
sterblichen, in Wirklichkeit ist es nur so, dass die „nomalos“ in
Begleitung auch wichtiger wirken, als sie sind. Sie sonnen sich in
deren Glanz und werden selbst Teil von etwas Besonderem. So war es
bei uns auch immer, allein durch seine Gesellschaft stieg unsere
Beliebtheitskurve drastisch.
Seit wir klein
waren, wussten wir von Theos Wirkung auf seine Umgebung, er war das
schöne Gesicht, dass wir oft vor schickten um zu erreichen, was wir
wollten. Gerade Sebastian und ich die rein Äußerlich nur guter
Durchschnitt sind, profitierten oft davon. Wer mich gut kennt weiß,
dass Bescheidenheit kein charakterbildendes Wesensmerkmal meiner
Existenz ist. Viele Frauen wussten, dass nicht alle Theo haben
konnten und so gaben sich einige auch mit der weniger attraktiven
Alternative zufrieden. Das freute uns um so mehr! So wuchsen wir auf
und wurden, wie es sich für Südländer gehört zu chauvinistischen
Machos.
So hübsch Theo auch
war, oder besser genauer gesagt ist, so oberflächlich ist er auch!
Er war und ist gefangen in einer kostspieligen materialistischen Welt
voller Marken und belanglosen Äußerlichkeiten, aus der er leider
nur zu selten herausbricht. Er ist der oberflächlichste Mensch den
ich jemals kennengelernt habe. Etwas was nicht immer als ein Nachteil
ausgelegt werden sollte, denn er spricht wie ein Kind oftmals
belanglose Äußerlichkeiten deutlich aus und bringt sie in seiner
ihm eigenen Art auf den Punkt. Ja er hat eine sehr pragmatische
Sichtweise auf die Welt. Seine impertinenten vulgären Bemerkungen
entpuppen sich des öfteren als treffende Charakterisierungen, er
ruft das Kind beim Namen und schert sich wenig um politische
Korrektheit. Ja er ist, wenn man es zugespitzt ausdrückt, der mutige
der die Wahrheit anspricht und jede Wahrheit braucht ja
bekanntermaßen einen waghalsigen, der sie in Worte fasst. Eine
überdurchschnittlich lange Nase, ein abartige Frisur oder einfach
nur altmodische Kleidung sind Wahrheiten die einer einmal deutlich
aussprechen sollte. Ich war schon immer der Meinung das hässliche
Menschen einfach nur unsympathisch und wenig vertrauenswürdig sind.
Das spanische
Viertel war auf die Feierlichkeiten des überragenden WM Triumphs gut
vorbereitet, mit deutscher Präzision und Gründlichkeit wurden sogar
die Polizisten die dieses Ereignis überwachten in Reihe und Glied
aufgestellt. Obwohl Spanien Deutschland im Halbfinale besiegt hatte,
erwiesen sich die Deutschen als sehr fairer Verlierer und feierten
hier in dieser wunderbaren einzigartigen Stadt im spanischen Viertel
mit uns den Sieg über die Niederländer.
Es wurde ein schöner
Tag, der schönste in meinem Leben! Es mag armselig und banal wirken
eine solche Behauptung aufzustellen, da einer sich da doch eher einen
persönlicheren, privateren Tag vorzustellen vermag, wie zum Beispiel
die Hochzeit oder die Geburt des ersten Kindes. Aber wenn einer aus
so einer fußballbegeisterten Familie kommt, in der man diesen Sport
bereits mit der Muttermilch aufgesogen hat, dann ist ein solche
Feststellung durchaus berechtigt.
Die einst blühende
spanische Gemeinde in dieser Stadt war zwar zu überschaubarer Größe
geschrumpft, aber immer noch präsent und hörbar, wenn Spanier etwas
gut können, dann ist es feiern. An jenem Tag traf man alle wieder,
die man so lange nicht gesehen hatte. Alte Bekannte und Weggefährten
vergangener Tage und wir lagen uns am ende alle heulend in den Armen.
Es wurde ein pathetisch emotional völkerverständigendes Fest. Eine
riesige improvisierte Leinwand und genug Alkohol sorgte für
ausgelassene Stimmung und jenes mittlerweile legendäre Tor in der
Verlängerung von Andres Iniesta erlöste uns und nahm alle Spannung
von uns, so dass wir hemmungslos feiern konnten. Die ganze Stadt
befand sich im Ausnahmezustand, obwohl wir über 1500 Kilometer von
meiner geliebten Heimat entfernt waren. Überall auf der Welt
feierten Spanier, wo sie auch waren, als ob sie an einer nicht enden
wollenden Orgie teilnehmen würden. Jeder war außer sich, rot war
die dominierende Farbe. La Roja „die Rote“ hatte gesiegt, diese
Farbe ist wahrlich eine die diese wundervolle Stadt immer zu jeder
Gelegenheit gut kleidet!
Viele Bekannte und
Freunde, die einer so lange nicht gesehen hatte traf man wieder.
Manche Leute, die mich früher nie gegrüßt geschweige den angeguckt
haben, grüßten mich plötzlich und erkundigten sich nach meinen
Wohlbefinden, eine Tatsache die ich dem reich fließendem Alkohol
oder dem sogenannten „Theoeffekt“ zuschreibe.
Sogar die humorlosen
kalten deutschen Polizisten tauten auf und feierten mit. Einer meiner
ganz persönlichen Höhepunkte an diesem Abend war eine Polizistin
die die spanische Fahne küsste und sich ein entsprechendes Trikot
über die Uniform zog, eine freudige Verbrüderungsgeste. Aber bei
genaueren Hinsehen erkannte ich das absurde an dieser eigentlich
wundervollen Situation, es war nicht einfach nur eine einfache
Polizistin, die dieses tat , sondern es war eine spanisch-deutsche
Polizistin, eine Deutsche mit spanischen Migrationshintergrund trug
die wenig ehrenhafte die Uniform eines Kindes. Ich kannte sie von
früher, es war Esmeralda. Ich hatte mit ihr die spanische Schule
besucht!
Jede Zelle meines
Körper sagte mir, dass es falsch war. Wie konnte eine Spanierin ihre
glorreiche ehrenhafte Herkunft verleugnen und aufgeben um Deutsche zu
werden und dann auch noch eine so verhasste Staatsdienerin?
Hierzu muss einer
wissen, dass ich jedem meiner Freunde oder Bekannten, von denen ich
erfahren habe, dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen
haben um des Preises der Aufgabe ihrer Alten, immer mein tiefes auf
aufrichtiges Beileid ausgesprochen habe. Sich einem restriktivem
Staatsbürgerschaftsrecht zu unterwerfen ist in meinen Augen falsch,
eine Todsünde ohne gleichen! Es ist Verrat an deinem Blut deiner
Herkunft, eigentlich sollte jeder der das macht auf der Stelle
hingerichtet werden.
Wie in anderen
Bundesländern gibt es auch Niedersachsen den Versuch Menschen mit
Migrationshintergrund für den Beruf des Polizeibeamten zu gewinnen.
Die staatlichen Sicherheitskräfte möchten so ihre interkulturelle
Kompetenzen stärken und ein Imagegewinn erzielen. Die Polizei soll
so bunter und moderner werden. Misstrauische und vorlaute Menschen
wie ich, sehen darin eher eine Bestätigung des allgemein
verbreitenden Vorurteil, die Polizei sei ausländerfeindlich und
wolle dies nur kaschieren. Mit unkonventionellen Mitteln soll dem
entgegengetreten werden und mit der zunehmenden Beschäftigung von
Polizeibeamten, die selber einen Migrationshintergrund haben, soll
das natürlich absolut unbegründete Vorurteil widerlegt werden. Ein
deutliches Indiz für ein Schuldeingeständnis, wenn es kein solches
Problem geben würde, wäre auch die Notwendigkeit der Einstellung
von solchen Polizisten mit Migrations- hintergrund nicht
erforderlich!
Das die Justiz auf
dem „rechtem Auge“ blind ist, stellt ein allgemein akzeptiertes
Faktum da, nur vielleicht einige CSU Politiker aus dem tiefsten
provinziellen Bayern, die fleißig am rechten Rand um Stimmen werben
und mit ihren Bemerkung dafür sorge tragen das „Rechts“ der CSU
sich keine weitere Partei dort etablieren kann, würden dies nach den
Ereignissen in den letzten Jahren in frage stellen. Das aber auch
Bundeswehr und Polizei von ausländerfeindlichen Elementen durchsetzt
ist neu.
Ich hatte mit der in
meinen Augen lächerlich wirkenden Polizistin die Schulbank gedrückt,
nur das sie jetzt nicht mehr ihre einst so tolle Figur hatte, sondern
altersbedingt ein bisschen in die Breite gegangen war, sie war aber
ehrlich gesagt, immer noch eine atemberaubende attraktive Dame. In
ihrer Jugend war sie eine sehr hübsche und kluge Frau gewesen. Ein
Geist aus der Vergangenheit, der mich einholte. Eine geheimnisvolle
Exotik war von ihren dunklen langen Haar und ihren braunen Augen
ausgegangen. Eine art „Gabriela Sabatini“ oder „Gabriel Solis“
Typ -so würden wir sie heute beschreiben- machten sie unvergesslich
für das Gedächtnis eines pubertierenden 16jährigen. Wie war es
möglich das eine intellektuell so anspruchsvolle Frau diesen Beruf
ergreift?
In meiner
Verärgerung und inneren Aufregung merkte ich nicht, dass auch sie
mich erkannt hatte. Fast stotternd antwortete ich ihr als sie mir auf
spanisch „Hallo!“ zurief und mir damit zu verstehen gab,
dass auch sie mich identifiziert hatte. „Was machst du hier?“
antwortete ich. „Natürlich, Arbeiten!“ war ihre schlichte
und kurze Antwort. Als ob ich sie mich für dumm hielte, denn ihre
Uniform wies deutlich auf ihren Beruf und ihre Tätigkeit hin „Wie
geht es dir so? Lange nicht mehr gesehen.“ fragte ich,
eigentlich nur aus reiner Höflichkeit. Ich hatte jetzt nicht damit
gerechnet, dass mir einen langen Vortrag über ihr Wohlbefinden hält.
Manche Leute wissen einfach nicht, dass man nur aus reiner
Höflichkeit fragt. Ich hoffte nur dass sie meine abwertende Blicke
nicht erkannt hatte oder zumindest nicht so gedeutet habe, denn
manchmal bin ich ich aufgrund meiner nonverbalen Signale, wie ein
offenes Buch. Es war eine merkwürdig abstrakte Begegnung, ein
unverhofftes Wiedersehen, dass das absurde tangierte. Wie gesagt ein
Geist aus der Vergangenheit, der dich überraschenderweise einholt.
Als wir außer Sicht
und Hörweite waren erzählte ich Theo von ihr. „Das ist eine
Landsfrau, die Polizistin.“„Wer die dicke fette?“ War seine
herablassende Frage. „Ja, die etwas korpulentere.“ antwortete
ich lächelnd. „Na, da habt ihr ja Glück, dass sie keine
Spanierin mehr ist“!
Irgendwie hatte ich
das Gefühl, dass ich diese Polizistin wiedersehen sollte ein Gefühl
in meinem Bauch , was mich noch nie getäuscht hatte, sagt mir dies!
©R.M.A