Freitag, 27. Juli 2012

Kapitel 4



Es war das Jahr des Sterns. Zehn Jahre nach dem für die Jahrtausendwende angekündigten Weltuntergang und zwei vor dem von den Mayas für das Jahr 2012 prophezeiten. Beide fanden natürlich nicht statt! Solche abergläubischen Prophezeiungen haben immer nur den Zweck zur Kontrolle, der kleine Mann soll über gewöhnliche Angst gefügig gemacht werden. Aber nicht die Sterne am Firmament sind hier die relevanten, sondern der der auf dem spanischen Nationaltrikot erstrahlt.

Es war ein Jahr unendlicher Freude für jeden Spanier auf der Welt. Spanien wurde Fußballweltmeister, endlich, es ist als, ob ich mein ganzes Leben auf diesen Moment gewartet hätte und nicht einmal in meinen kühnsten Träumen hätte ich gedacht, ihn zu erleben. Doch ich war dabei und wurde Zeuge, zwar nur mit den Augen auf den Bildschirm, aber dennoch live und direkt. Vom Spiel habe ich am jenem Tag nur sehr wenig mitbekommen, denn es war ein Tag zum feiern.

Als wir im Vahrenwalder Park auf das neue Jahr anstießen und uns der üblichen Feuerwerkskörper entledigten, wussten wir noch nicht welche tolles Jahr es werden sollte. Vielleicht lag es an der außergewöhnlich hohen Anzahl an Knallkörpern, die wir dieses Jahr zündeten, dass es so ein wundervolles wurde. Wir, das sind meine drei Freunde Theodoro (Theo), Ali , Sebastian (Basti) und ich.

Theo war der Prototyp des modernen Metrosexuellen. Ein stolzer und drahtiger Grieche, der wann immer er konnte darauf hinwies, dass sein Volk es war welches der Welt in der Antike die Philosophie und Mathematik geschenkt habe. Bereits Ende der Achtziger Jahre, als noch keiner David Beckham kannte und Christiano Ronaldo noch in den Windeln lag, lebte er uns vor, was ein gepflegter gut aussehender Mann zu tun hat, um so noch hübscher und attraktiver zu wirken. Heutzutage würde jeder denken Theo sei vom Anderem Ufer, aber das war nicht Fall, eher das Gegenteil. Bereits mit Vierzehn als wir anderen noch fleißig mit Lego und Playmobil spielten war Theo schon am kopulieren. Er war ein Frauenheld ohne gleichen. Eine schlichte Eleganz, die er auch aus beruflichen Gründen, an den Tag legte, er war Bankkaufmann, sorgte dafür, dass ihm alle Frauen zu Füssen lagen. Ob Brünette, Blond oder Rothaarig, keine war vor ihm sicher, er hatte sie alle. Die Frauen liebten Theo und er mochte die Frauen bedingungslos.

Er war schon immer unserer Modeberater, unsere kleine „fashionqueen“. Wenn wir eine Jeans brauchten und in die Stadt fuhren, um uns eine zu kaufen, dann nahmen wir Theo mit. Er wusste alles über Mode und half dir die perfekte Hose für dich zu finden, und konnte dir dir dann auch genau mitteilen wo du sie am günstigsten erwerben konntest. Sogar bei der Wahl der passenden Unterhose, die den Schnitt dieser oder jener Jeans betonte half er dir. Mode und Theo das gehörte immer unzertrennlich zusammen. Jeden Trend kannte er und wusste Unmengen darüber zu erzählen. Als die neuen Drogerieketten aufkamen und populär wurden, konnte er dir ganze Vorträge darüber halten welche Creme oder Haarfesttiger die erwarteten Effekte hatten. Seine Expertise war immer kompetent und fundiert.

Mit ihm feierte ich im Jahr 2010 Spaniens ersten WM Titel. Das war kein Zufall den bereits vor 6 Jahren 2004 hatte ich mit ihm den Europameisterschaftstitel Griechenlands zelebriert. Nur dass diesmal nicht Ouzo, sonder Sangria das Getränk des Abends war. Und der Held des Tages nicht Otto Rehhagel sondern Andres Iniesta hieß.

Theo war ein gut aussehender Mann, er war von einer atemberaubenden Ästhetik, als ob ihn eine Aura des Schönen und Einzigartigen umgeben würde, ich weiß nicht von welcher Göttin er abstammen musste, aber es sollte wohl als guter Grieche Venus oder Aphrodite höchstpersönlich sein. Wo er auch hinkam drehten sich alle nach ihm um, mit ihm eine Kneipe oder ein Café zu betreten war immer ein Vergnügen, den mit ihm warst du für ein paar Sekunden der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit. Gerne bildete ich mir natürlich immer ein, ich sei es auf den alle starren würden. Aber dem war leider nicht so.

Umgibst du dich mit hübschen Menschen, färbt etwas von ihrem Glanz und ihrer Schönheit auch auf dich ab. Wie bei den Reichen und Berühmten, die sich nur untereinander sozialisieren. So erscheint es uns gewöhnlich sterblichen, in Wirklichkeit ist es nur so, dass die „nomalos“ in Begleitung auch wichtiger wirken, als sie sind. Sie sonnen sich in deren Glanz und werden selbst Teil von etwas Besonderem. So war es bei uns auch immer, allein durch seine Gesellschaft stieg unsere Beliebtheitskurve drastisch.

Seit wir klein waren, wussten wir von Theos Wirkung auf seine Umgebung, er war das schöne Gesicht, dass wir oft vor schickten um zu erreichen, was wir wollten. Gerade Sebastian und ich die rein Äußerlich nur guter Durchschnitt sind, profitierten oft davon. Wer mich gut kennt weiß, dass Bescheidenheit kein charakterbildendes Wesensmerkmal meiner Existenz ist. Viele Frauen wussten, dass nicht alle Theo haben konnten und so gaben sich einige auch mit der weniger attraktiven Alternative zufrieden. Das freute uns um so mehr! So wuchsen wir auf und wurden, wie es sich für Südländer gehört zu chauvinistischen Machos.

So hübsch Theo auch war, oder besser genauer gesagt ist, so oberflächlich ist er auch! Er war und ist gefangen in einer kostspieligen materialistischen Welt voller Marken und belanglosen Äußerlichkeiten, aus der er leider nur zu selten herausbricht. Er ist der oberflächlichste Mensch den ich jemals kennengelernt habe. Etwas was nicht immer als ein Nachteil ausgelegt werden sollte, denn er spricht wie ein Kind oftmals belanglose Äußerlichkeiten deutlich aus und bringt sie in seiner ihm eigenen Art auf den Punkt. Ja er hat eine sehr pragmatische Sichtweise auf die Welt. Seine impertinenten vulgären Bemerkungen entpuppen sich des öfteren als treffende Charakterisierungen, er ruft das Kind beim Namen und schert sich wenig um politische Korrektheit. Ja er ist, wenn man es zugespitzt ausdrückt, der mutige der die Wahrheit anspricht und jede Wahrheit braucht ja bekanntermaßen einen waghalsigen, der sie in Worte fasst. Eine überdurchschnittlich lange Nase, ein abartige Frisur oder einfach nur altmodische Kleidung sind Wahrheiten die einer einmal deutlich aussprechen sollte. Ich war schon immer der Meinung das hässliche Menschen einfach nur unsympathisch und wenig vertrauenswürdig sind.

Das spanische Viertel war auf die Feierlichkeiten des überragenden WM Triumphs gut vorbereitet, mit deutscher Präzision und Gründlichkeit wurden sogar die Polizisten die dieses Ereignis überwachten in Reihe und Glied aufgestellt. Obwohl Spanien Deutschland im Halbfinale besiegt hatte, erwiesen sich die Deutschen als sehr fairer Verlierer und feierten hier in dieser wunderbaren einzigartigen Stadt im spanischen Viertel mit uns den Sieg über die Niederländer.

Es wurde ein schöner Tag, der schönste in meinem Leben! Es mag armselig und banal wirken eine solche Behauptung aufzustellen, da einer sich da doch eher einen persönlicheren, privateren Tag vorzustellen vermag, wie zum Beispiel die Hochzeit oder die Geburt des ersten Kindes. Aber wenn einer aus so einer fußballbegeisterten Familie kommt, in der man diesen Sport bereits mit der Muttermilch aufgesogen hat, dann ist ein solche Feststellung durchaus berechtigt.

Die einst blühende spanische Gemeinde in dieser Stadt war zwar zu überschaubarer Größe geschrumpft, aber immer noch präsent und hörbar, wenn Spanier etwas gut können, dann ist es feiern. An jenem Tag traf man alle wieder, die man so lange nicht gesehen hatte. Alte Bekannte und Weggefährten vergangener Tage und wir lagen uns am ende alle heulend in den Armen. Es wurde ein pathetisch emotional völkerverständigendes Fest. Eine riesige improvisierte Leinwand und genug Alkohol sorgte für ausgelassene Stimmung und jenes mittlerweile legendäre Tor in der Verlängerung von Andres Iniesta erlöste uns und nahm alle Spannung von uns, so dass wir hemmungslos feiern konnten. Die ganze Stadt befand sich im Ausnahmezustand, obwohl wir über 1500 Kilometer von meiner geliebten Heimat entfernt waren. Überall auf der Welt feierten Spanier, wo sie auch waren, als ob sie an einer nicht enden wollenden Orgie teilnehmen würden. Jeder war außer sich, rot war die dominierende Farbe. La Roja „die Rote“ hatte gesiegt, diese Farbe ist wahrlich eine die diese wundervolle Stadt immer zu jeder Gelegenheit gut kleidet!

Viele Bekannte und Freunde, die einer so lange nicht gesehen hatte traf man wieder. Manche Leute, die mich früher nie gegrüßt geschweige den angeguckt haben, grüßten mich plötzlich und erkundigten sich nach meinen Wohlbefinden, eine Tatsache die ich dem reich fließendem Alkohol oder dem sogenannten „Theoeffekt“ zuschreibe.

Sogar die humorlosen kalten deutschen Polizisten tauten auf und feierten mit. Einer meiner ganz persönlichen Höhepunkte an diesem Abend war eine Polizistin die die spanische Fahne küsste und sich ein entsprechendes Trikot über die Uniform zog, eine freudige Verbrüderungsgeste. Aber bei genaueren Hinsehen erkannte ich das absurde an dieser eigentlich wundervollen Situation, es war nicht einfach nur eine einfache Polizistin, die dieses tat , sondern es war eine spanisch-deutsche Polizistin, eine Deutsche mit spanischen Migrationshintergrund trug die wenig ehrenhafte die Uniform eines Kindes. Ich kannte sie von früher, es war Esmeralda. Ich hatte mit ihr die spanische Schule besucht!

Jede Zelle meines Körper sagte mir, dass es falsch war. Wie konnte eine Spanierin ihre glorreiche ehrenhafte Herkunft verleugnen und aufgeben um Deutsche zu werden und dann auch noch eine so verhasste Staatsdienerin?

Hierzu muss einer wissen, dass ich jedem meiner Freunde oder Bekannten, von denen ich erfahren habe, dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben um des Preises der Aufgabe ihrer Alten, immer mein tiefes auf aufrichtiges Beileid ausgesprochen habe. Sich einem restriktivem Staatsbürgerschaftsrecht zu unterwerfen ist in meinen Augen falsch, eine Todsünde ohne gleichen! Es ist Verrat an deinem Blut deiner Herkunft, eigentlich sollte jeder der das macht auf der Stelle hingerichtet werden.

Wie in anderen Bundesländern gibt es auch Niedersachsen den Versuch Menschen mit Migrationshintergrund für den Beruf des Polizeibeamten zu gewinnen. Die staatlichen Sicherheitskräfte möchten so ihre interkulturelle Kompetenzen stärken und ein Imagegewinn erzielen. Die Polizei soll so bunter und moderner werden. Misstrauische und vorlaute Menschen wie ich, sehen darin eher eine Bestätigung des allgemein verbreitenden Vorurteil, die Polizei sei ausländerfeindlich und wolle dies nur kaschieren. Mit unkonventionellen Mitteln soll dem entgegengetreten werden und mit der zunehmenden Beschäftigung von Polizeibeamten, die selber einen Migrationshintergrund haben, soll das natürlich absolut unbegründete Vorurteil widerlegt werden. Ein deutliches Indiz für ein Schuldeingeständnis, wenn es kein solches Problem geben würde, wäre auch die Notwendigkeit der Einstellung von solchen Polizisten mit Migrations- hintergrund nicht erforderlich!

Das die Justiz auf dem „rechtem Auge“ blind ist, stellt ein allgemein akzeptiertes Faktum da, nur vielleicht einige CSU Politiker aus dem tiefsten provinziellen Bayern, die fleißig am rechten Rand um Stimmen werben und mit ihren Bemerkung dafür sorge tragen das „Rechts“ der CSU sich keine weitere Partei dort etablieren kann, würden dies nach den Ereignissen in den letzten Jahren in frage stellen. Das aber auch Bundeswehr und Polizei von ausländerfeindlichen Elementen durchsetzt ist neu.

Ich hatte mit der in meinen Augen lächerlich wirkenden Polizistin die Schulbank gedrückt, nur das sie jetzt nicht mehr ihre einst so tolle Figur hatte, sondern altersbedingt ein bisschen in die Breite gegangen war, sie war aber ehrlich gesagt, immer noch eine atemberaubende attraktive Dame. In ihrer Jugend war sie eine sehr hübsche und kluge Frau gewesen. Ein Geist aus der Vergangenheit, der mich einholte. Eine geheimnisvolle Exotik war von ihren dunklen langen Haar und ihren braunen Augen ausgegangen. Eine art „Gabriela Sabatini“ oder „Gabriel Solis“ Typ -so würden wir sie heute beschreiben- machten sie unvergesslich für das Gedächtnis eines pubertierenden 16jährigen. Wie war es möglich das eine intellektuell so anspruchsvolle Frau diesen Beruf ergreift?

In meiner Verärgerung und inneren Aufregung merkte ich nicht, dass auch sie mich erkannt hatte. Fast stotternd antwortete ich ihr als sie mir auf spanisch „Hallo!“ zurief und mir damit zu verstehen gab, dass auch sie mich identifiziert hatte. „Was machst du hier?“ antwortete ich. „Natürlich, Arbeiten!“ war ihre schlichte und kurze Antwort. Als ob ich sie mich für dumm hielte, denn ihre Uniform wies deutlich auf ihren Beruf und ihre Tätigkeit hin „Wie geht es dir so? Lange nicht mehr gesehen.“ fragte ich, eigentlich nur aus reiner Höflichkeit. Ich hatte jetzt nicht damit gerechnet, dass mir einen langen Vortrag über ihr Wohlbefinden hält. Manche Leute wissen einfach nicht, dass man nur aus reiner Höflichkeit fragt. Ich hoffte nur dass sie meine abwertende Blicke nicht erkannt hatte oder zumindest nicht so gedeutet habe, denn manchmal bin ich ich aufgrund meiner nonverbalen Signale, wie ein offenes Buch. Es war eine merkwürdig abstrakte Begegnung, ein unverhofftes Wiedersehen, dass das absurde tangierte. Wie gesagt ein Geist aus der Vergangenheit, der dich überraschenderweise einholt.

Als wir außer Sicht und Hörweite waren erzählte ich Theo von ihr. „Das ist eine Landsfrau, die Polizistin.“„Wer die dicke fette?“ War seine herablassende Frage. „Ja, die etwas korpulentere.“ antwortete ich lächelnd. „Na, da habt ihr ja Glück, dass sie keine Spanierin mehr ist“!

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich diese Polizistin wiedersehen sollte ein Gefühl in meinem Bauch , was mich noch nie getäuscht hatte, sagt mir dies!
 ©R.M.A